Auch in Amtsstuben jeder 20. Alkoholiker

■ Fachtagung: Jede(r) 10. in Betrieb und Behörden suchtgefährdet / 23,5 Mio Schaden

Rund fünf Prozent aller ArbeitnehmerInnen sind alkoholkrank. Jede(r) Zehnte gilt als gefährdet. Auch die Zahlen der medikamenten- und drogenabhängigen Beschäftigten steigen. In Behörden und Ämtern sieht es nicht anders aus: „Fünf Prozent sind eher untertrieben“, sagt Horst Hardemann, Suchtkrankenhelfer im Öffentlichen Dienst in Bremen. Zuspätkommen, Fehlzeiten durch häufige Erkrankungen, Unfälle — das sind nur einige der Folgen, die für die Kollegen von Alkohol- oder Suchtkranken spürbar werden.

„Bei gleicher Besoldung arbeiten sie nur die Hälfte“, schildert Hardemann den Ärger der Kollegen, durch den Suchtkrankenhelfer in Betrieben wie auch in Öffentlichen Verwaltungen auf einen „Problemfall“ aufmerksam gemacht werden. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen, daß Suchtkranke bis zur Hälfte weniger leisten.

Demzufolge sind von den 26.300 Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in Bremen mindestens 1.315 alkoholkrank, weitere 2.630 gefährdet. Experten beziffern den nur durch die Leistungsminderung entstehenden Schaden auf 1,25 Prozent der Personalkosten, das wären allein für Bremen 23,5 Millionen Mark (Personalkosten öffentlicher Dienst 1992: 1,916 Mrd.).

Zu einer bundesweiten Fachtagung trafen sich gestern und heute 60 SuchtkrankenhelferInnen und Bedienstete aus Personal- und Gesundheitsämtern, um Erfahrungen zum Thema „Alkohol und Arbeitsplatz“ auszutauschen und nach Wegen zu einer betrieblichen Suchtkrankenhilfe zu suchen. In Bremen gibt es beispielsweise seit 1989 eine entsprechende “Dienstvereinbarung über den Umgang mit Suchtkranken oder Suchtgefährdeten sowie gegen den Mißbrauch von Alkohol und anderen abhängig machenden Drogen durch Angehörige der bremischen Verwaltung“.

Diese Vereinbarung ist auf fünf Jahre befristet. Sie regelt Interventionskette und disziplinarische Maßnahmen. In der Hälfte der 120 bremischen Dienststellen gibt es bereits (ehrenamtliche) SuchtkrankenhelferInnen und Suchtarbeitskreise, die für ihre Arbeit mit den Betroffenen vom Dienst freigestellt werden. Darüber hinaus stehen seit 1992 im Haushalt 100.000 Mark bereit, um MitarbeiterInnen und Suchtkrankenhelfer fort- und weiterzubilden.

„Im Betrieb ist es wie in der Familie: Man spricht nicht drüber“, erklärt Rolf-Dieter Kempf, in der Senatskommission für das Personalwesen (SKP) für die Koordination betrieblicher Suchtkrankenhilfe zuständig. Dies könne nur langsam verändert werden. Besonders die Vorgesetzten müßten sensibilisiert werden, damit sie die Probleme erkennen und die Betroffenen ansprechen können.

Denn nur über Vorgesetzte lasse sich „konstruktiver Druck“ ausüben: zum Gespräch mit dem Suchtkrankenhelfer, zur Teilnahme an Selbsthilfegruppen bis hin zur Therapie. „Hilfe statt Kündigung“ ist der Weg, den auch die Kommunen inzwischen gehen. Die KGST, „Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung“, ein Zusammenschluß von 1.400 Städten und Kreisen, hat dazu ein Modell entwickelt.

Eine spielesüchtige Angestellte in der Bremer Verwaltung durfte z.B. nicht entlassen werden, was das Arbeitsgericht bestätigte. Oft werden, besonders die neuen Süchte, aber erst wahrgenommen, wenn es fast zu spät ist: Die Krankheit eines arbeitssüchtigen Bremer Verwaltungsmannes z.B. erst, nachdem er völlig zusammengebrochen war. „An der Prävention wird in Zeiten leerer Kassen zuerst gespart“, fürchtet Kempf. ra