■ Handball
: An der Grenze des Möglichen

Frankfurt (taz) – Was hatte man vorher nicht alles für Superlative bemüht: „Höhepunkt des Jahres“, „vorweggenommenes Endspiel“, „Spitzenspiel des Welthandballs“. Die 5.500 Karten für diese Begegnung waren innerhalb weniger Tage verkauft, und das TV übertrug in mehrere Länder. Während bei den Fußballkollegen derartige Vorschußlorbeeren regelmäßig in einem Flop enden, geschah in der Frankfurter Ballsporthalle das nahezu Unmögliche: Der spanische und der deutsche Meister überboten noch die Vorankündigungen und lieferten sich vielleicht das beste Match, das der kontinentale Vereinshandball in den letzten drei Jahren zu bieten hatte.

Besonders in der ersten Halbzeit brannte die SG Wallau/Massenheim ein Handballfeuerwerk ab, daß Kontrahent und Zuschauern buchstäblich Hören und Sehen verging. Unter fast gesundheitsschädlichem Lärmpegel hatte sich Wallau nach zehn Minuten mit 3:0 in Front geworfen. Zwei der drei Treffer hatte Barca-Keeper Barrufet vollkommen regungslos kassiert – Entstehung und Ausführung waren optisch kaum wahrnehmbar.

Über den Zwischenstand 10:4 führte der deutsche Meister zu Halbzeit sensationell mit 14:8. Selbst Barcelona-Trainer Rivera konnte nicht leugnen, was sein Pendant Heiner Brand später stolz feststellte: „In der ersten Halbzeit haben wir an der Grenze des Möglichen gespielt.“

Offensichtlich hatte sich die Inspektionsreise vor vierzehn Tagen nach Spanien gelohnt. Mit einer 3-2-1-Deckung brachte Wallau die geballte Offensivkraft der durchweg mit Nationalspielern besetzten Katalanen immer wieder rechtzeitig zum Stehen.

Das war angesichts der physischen Stärke des Gegners auch dringend notwendig, denn „die haben alle ein Kreuz wie ein Ochse und marschieren über sechzig Minuten“, zeigte sich Martin Schwalb auch hinterher noch beeindruckt. Er selbst zeigte zusammen mit seinem kongenialen Partner Mikael Kaellmann am nachhaltigsten, daß spielerische Mittel durchaus ein probates Gegengift sein können. Zu Beginn der zweiten Halbzeit machte Barcelona deutlich, daß es sich hier nicht demontieren lassen wollte. Innerhalb von drei Minuten gelang ihnen der 11:14-Anschluß, und das Spiel drohte zu kippen. Schließlich hatte der dreizehnfache spanische Meister und vierfache Europapokalgewinner in dieser Runde noch kein einziges Spiel verloren. In dieser Phase auch der langsam schwindenden Kräfte auf Wallauer Seite bewies die Mannschaft ihre wirkliche Klasse.

Gestützt auf einen glänzenden Peter Hofmann im Tor, der die hundertprozentigen Würfe immer zum richtigen Zeitpunkt abwehrte, ließ sich Wallau/Massenheim trotz erhöhtem kämpferischen Einsatz nicht von der spielerischen Linie abbringen. Voll konzentriert auch in Überzahlsituationen, zogen sie noch einmal auf 22:15 davon. Die perplexen FC-Spieler mußten nun ganz tief in die taktische Trickkiste greifen. Mit provozierten Stürmerfouls gelangten sie in Ballbesitz und konnten so den schlußendlichen 20:24-Rückstand halbwegs in Grenzen halten. Gleichwohl erntete Schwalb nach Spielschluß keinen Widerspruch, als er mit leuchtenden Augen seine Stimmungslage zum Besten gab: „Wir waren echt gut.“

Barcelona, als „beste Vereinsmannschaft der Welt“ tituliert, hat Konkurrenz bekommen.Matthias Kittmann