Nur Opfer beim Hamburger Anschlag

KOMMENTAR

Nur Opfer beim Hamburger Anschlag

Auf Monica Seles wurde beim Viertelfinalspiel des Tennisturniers am Rothenbaum Freitag abend ein Attentat verübt. Ein offenbar psychisch kranker Mann stieß ihr in einer Spielpause ein Messer in den Rücken. Die Weltranglistenerste mußte mit einer Fleischwunde in der Rückenmuskulatur ins Krankenhaus eingeliefert werden, sie hat also keine schwereren körperlichen Verletzungen davon getragen. Ein Schock bleibt indes bei der Zwanzigjährigen.

Er sei ein Fan von Steffi Graf und könne es deshalb nicht länger ertragen, daß Monica Seles die Nummer 1 der Weltrangliste ist, sagte der Täter bei der Vernehmung der Polizei. Töten wollte er Seles nicht, nur spielunfähig machen, damit die Deutsche, die Poolposition zurückerobern kann.

Die Tat und das Motiv sind geklärt. Doch handelt es sich bei dem arbeitslosen Thüringer Günther P. wirklich um einen Täter, oder ist nicht auch er, vielmehr als Opfer zu betrachten? Ein schwerer psychischer Defekt muß der Tat zugrunde liegen, einer, der den 38jährigen vormaligen Dreher, dazu veranlaßte, das Wohl der Steffi Graf in der Weltrangliste höher anzusiedeln als seine eigene Existenz. Mitausgelöst sicherlich durch die mediale Person Steffi Graf, also durch das, zu dem die Brühlerin und ihr Tennisspiel im öffentlichen Bewußtsein hochstilisiert wurde – als die bezaubernde, begehrenswerte deutsche Heroin im Kampf gegen eine Jugoslawin.

Ein weiteres Opfer neben Monica Seles und dem „irren Attentäter“ (Bild am Sonntag) ist sicherlich die angebetete Steffi Graf: Wie fast immer auf Pressekonferenzen in sich versunken, mußte sie, deren einzige herausragende Eigenschaft es ist, besser als andere Tennis zu spielen, realisieren, das sie Grund für ein Attentat war. Ihre Bitte indes an die Pressevertreter, die Sache nicht unnötig hochzuspielen, wird mit Sicherheit nicht entsprochen werden.

Kai Rehländer