Migräne, Fieber, Wut

■ Siri HHustvedt liest heute aus ihrem Roman "Die unsichtbare Frau"

liest heute aus ihrem Roman Die unsichtbare Frau

Die junge schöne Iris Vegan lebt in einem kleinen dunklen Zimmer in New York, geplagt von Ängsten, Migräneanfällen und dem Verlangen nach bestimmten Männern. Ihre Monatsmiete hat sie noch nicht überwiesen, und auch für den nächsten Monat steht kein Geld in Aussicht. In hoffnungsloser Lage steuert sie mit traumwandlerischer Sicherheit einen seltsamen, leicht perversen Mann an, der ihr einen Job in der Uni-Szene anbietet.

Sie liefert sich ganz und gar aus und erhält nichts zurück — außer ein paar Dollar. Anflüge von Erkenntnis schützen sie davor, immer wieder einer seltsamen Faszination zu erliegen: „Das Projekt wirkte ausgefallen bis zur Verrücktheit, aber es zog mich an“. Sobald sie den Pakt mit einem Mann eingegangen ist, beherrscht er ihr gesamtes Denken und Fühlen.

Gleich der Ich-Erzählerin sind die Leser des Romans eingebunden, gefangen in einer Atmosphäre des Unbestimmten und zugleich Ruhe- und Atemlosen: Ein Schrei, der niemandem zuzuordnen ist, eine leise flüchtige Berührung mit dem Ellbogen, die Silhouette eines Menschen im gegenüberliegenden Fenster. Hochsensibel, oft wie im Fieber, nimmt Iris Augenblicke aus dem Großstadtleben in sich auf. „New York gehört zu meinem Buch wie eine Romanfigur“, sagt Siri Hustvedt.

Mit ihrer eindringlichen, suggestiven Sprache läßt sie die Leser eintauchen in die Welt von Iris. Ihre Schauplätze sind die Straßen New Yorks, die Zimmer der jeweiligen Männer, Büchereien. „Ich liebe Büchereien“, haucht die Autorin beim Gespräch, und ihre Stimme vermag dabei den Zuhörer ebenso zu entführen wie ihr Text. In allen Beziehungen zu Männern scheitert die Romanheldin. Als sie sich gar verliebt, geht ihr labiler Gemütszustand über in eine tiefe

1Krise, die sie an den Rand des Todes bringt. „Dies soll aber keineswegs ausdrücken, daß ich keine Chancen für eine Beziehung zwischen Frau und Mann sehe“, erklärt Siri Hustvedt, die seit 12 Jahren mit dem amerikanischen Schriftsteller Paul Auster verheiratet ist. Sie zeige die Entwicklung einer bestimmten Frau Anfang 20, in einem Lebensalter, das von großer Offenheit bestimmt und in dem die „soziale Kodierung“ noch nicht erfolgt sei.

Im letzten Teil verliert der Roman seine suggestive Kraft, erreicht nicht mehr die erzählerische Inten-

1sität der ersten, in sich geschlossenen Episoden. Iris entdeckt bisher verborgene Seiten wie Wut und sadistische Regungen in sich und ist imstande, der Mißachtung und dem Zynismus ihres Freundes ein „Nein“ entgegenzusetzen.

Mit ihrer Namensgebung (Iris rückwärts ist Siri) hat Siri Hustvedt die autobiographische Nähe von vornherein offengelegt. „Ich wollte, daß sie ein Alter Ego von mir ist; fiktional, aber emotional wahr“. Hedwig Gafga

Siri Hustvedt: „Die unsichtbare Frau“. Rowohlt-Verlag, 267 S., 36 DM.

Lesung: Amerikahaus, 20 Uhr