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Düstere Bilanz nach total verkorkster Spielzeit

■ Diätendesaster und unerfüllte Wahlversprechen: Hamburgs alleinregierender SPD-Senat blickt auf zwei schweißtreibende Regierungsjahre zurück

: Hamburgs alleinregierender SPD-Senat blickt auf zwei schweißtreibende Regierungsjahre zurück

„Am 2.Juni haben die Wählerinnen und Wähler Hamburgs SPD mit der politischen Führung unserer Stadt beauftragt — durch ein herausragendes Vertrauensvotum, das ich so nicht für erreichbar gehalten habe.“ Sichtlich gezeichnet von einer überraschend gewonnenen absoluten Mehrheit der Sitze und einer überaus anstrengenden Senatsbildung präsentierte Stadtchef Henning Voscherau am 26. Juni 1991 eine äußerst zurückhaltende Regierungserklärung: „Wir können ganz ausdrücklich nicht versprechen, vielen werde es besser, niemandem schlechter gehen.“

Die SPD-Spitze hatte den Wahlerfolg zuvor unisono als „einmaligen politischen Lottogewinn in einer Dienstleistungsmetropole“ bezeichnet und sorgenvoll die Stirn gerunzelt. Voscherau zitierte gar ein Umfrageergebnis: „Nur acht Prozent der Bevölkerung haben die Alleinregierung einer Partei gewollt.“ Am 2. Juni 1991 erreichte die SPD mit 48,0 Prozent hauchdünn die absolute Mehrheit. Die CDU fuhr mit 35,1 Prozent eines ihrer schlechtesten Ergebnisse ein, die FDP übersprang mit letzter Kraft und 5,4 Prozent die Anti- Kleinparteienhürde. Überraschend erholt damals die GAL, die sich für ihre erst wenige Wochen zuvor überwundene Spaltung in Fundis und Realos mit 7,2 Prozent überreich beschenkt fand.

Für Voscherau eine Angstpartie: Alles politische Mißlingen wurde in Zukunft einer SPD angelastet, die mit nur einer einzigen Stimme Mehrheit regieren mußte. Was jedem innerparteilichen Messerstecher beste Möglichkeiten versprach. Noch in der Wahlnacht bemühte sich Voscherau deshalb ernsthaft um eine Koalition mit dem Wahlverlierer FDP. Doch der verweigerte sich, schließlich wäre eine mitregierende FDP, dank der absoluten SPD-Mehrheit, nur weiches Politwachs in Voscheraus taktierenden Fingern gewesen.

Manchem Beobachter schienen Voscheraus Sorgen damals übertrieben: War der blitzgescheite Notar nicht ein echtes Glückskind, dem absolute Mehrheit und lokaler Wirtschaftsboom ohne eigenes Zutun in den Schoß gefallen waren? Konnte er jetzt mit diesen Pfunden nicht wuchern? Nicht wenige prophezeiten Voscherau eine lichte Zukunft — inklusive Ministeramt in einer SPD-Bundesregierung.

Nicht einmal sechs Monate später war die Freude vorbei. Am Nikolaustag 1991 mußten Stadtchef Voscherau, Parteichef Helmuth Frahm und Fraktionschef Günter Elste nachts im Rathaus den Stop der geplanten Aufstockung der SenatorInnen-Renten verkünden. Voscherau und die SPD standen vor einem Scherbenhaufen: Umfragewerte purzelten und SPD-Mitglieder verließen gleich hunderteweise die Partei. Voscherau am 6. Dezember 1991 mit bleichem Gesicht: „Der politische Frieden in Hamburg ist in Gefahr.“ Für kurze Zeit stand sogar der Sturz Voscheraus im Raum. Monatelang blieb der gesamte Regierungsapparat wie gelähmt, in der Bürgerschaft leckte die große Diätenkoalition aus CDU und SPD ihre Wunden. Hamburg wurde bundesweit zum Synonym für Politikverdrossenheit.

Allerdings: Die knappe Mehrheit von einer Stimme erwies sich in diesen bitteren Zeiten als unerwarteter Segen. Zwar bediente sich die SPD-Fraktion etwas heftiger aus der Stadtkasse als in früheren Jahren, aber die Fraktionsdisziplin hielt um ein Vielfaches besser als erwartet. Weit schwerer dagegen tat sich die neue Senatscrew, in der Voscherau, zur Überraschung manches Genossen, weniger Posten für seine Wandsbeker Seilschaft bereithielt, als von dieser ursprünglich gefordert. Doch das neugestrickte Team verhedderte sich schnell in persönlichen Animositäten.

Herausragend dabei der Streit um die Stadtentwicklungsbehörde (Steb), die als Element der Erneuerung und Vorzeigestück einer „neuen Planungskultur“ mit runden Tischen gedacht war. Die Konstruktionsfehler der jungen Behörde, die mit zuwenig Zuständigkeit in der Bebauungsplanung ausgestattet war, wurden erst nach langem Tauziehen gelöst: Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller gab die Verkehrszuständigkeit an Bausenator Eugen Wagner ab und erhielt dafür mehr Rechte im Bereich Bauen und Stadtplanung.

Das Ziel Voscheraus, schon in der ersten Hälfte der Legislaturperiode sichtbare Erfolge vorweisen zu können, blieb fast überall stecken: Neue Konzepte für Stadtentwicklung, Regionalplanung und Verkehr sind zwar in Arbeit — verzögerten sich jedoch durch den Streit um die Steb ganz erheblich. Verwaltungs- und Verfassungsreform wiederum blieben im Diätendesaster stecken. Allein die danach eingesetzte Enquete-Kommission zur Parlamentsreform leistete blitzsaubere und schnelle Arbeit: Ihre 100 Reformvorschläge liegen seit dem Herbst 1992 auf dem Tisch — Bürgerschaft, Senat und Parteien käuten zuletzt widerwillig auf ihnen herum. So negativ freilich will der Senat sich nicht beschrieben sehen. Der Bau der Flughafenautobahn, die Entscheidung für die Museumsinsel, der Start des Programms „Soziale Brennpunkte“, der Grundsatzbeschluß zur Hafenerweiterung, die Teilöffnung der Süderelbe... — das sei doch was!

Das vielleicht größte politische Desaster der Stadtverantwortlichen liegt jedoch auf einem ganz anderen Feld: Mit fröhlicher Blauäugigkeit setzten die Stadtgewaltigen auf die Boom-Town. Sie glaubten, der überdurchschnittliche Wirtschaftsaufschwung werde Hamburg zur „Insel der Seligen“ machen. Die Rezessionsanzeichen, von kundigen Kommentatoren seit Frühjahr 1992 verkündet, wurden geflissentlich übersehen: Der Büroboom ging ungeniert weiter, die städtische Haushaltspolitik behielt die Spendierhosen an. Die Haushaltslage der Stadt ist heute wieder prekär wie lange nicht. Gleichzeitig verschärfen sich die sozialen Probleme, bricht — aufgrund Bonner Sparpläne — der zweite Arbeitsmarkt ein, wächst die Zahl der Investitionsruinen — darunter, falls die Rezession andauert, ein Gutteil der Büroprojekte.

Kein Wunder, daß Voscherau jetzt zur Halbzeit herbe Kritik aus einem Lager einstecken mußte, um dessen Gunst er sich besonders bemüht. Am 31. März brachte ein bisher einmaliges Aktionsbündnis der Hamburger Wirtschaft, aus Handelskammer, Handwerkskammer, Bauindustrie, Architektenkammer und Wohnungsbaugenossenschaften, seine Vorwürfe an den Senat auf diesen Punkt: „Der akute Wohnungsmangel bedroht den sozialen Frieden und hemmt die wirtschaftliche Entwicklung unserer Stadt.“ Überfällig sei eine „zupackende Stadtentwicklungspolitik“. Der Senat wurstle vor sich hin, verschleppe Probleme. Die einmaligen Chancen Hamburgs nach der Einheit und der Öffnung Osteuropas wurden nicht genutzt. F. Marten

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