Hamburgs Türken rufen zum Generalstreik

■ Protest gegen den deutschen Rassismus / Türkische Läden bleiben heute geschlossen / Diskussion über Gegengewalt

/ Türkische Läden bleiben heute geschlossen / Diskussion über Gegengewalt

Der Tod von Ramazan Avci durch Skinheads in Hamburg, der Brandanschlag von Mölln durch Neonazis, die fünf Morde von Solingen: Ein großer Teil der Hamburger Immigranten und Flüchtlinge ist mit seiner staatsbürgerlichen Geduld am Ende. Ein breites Bündnis linker Gruppen um das Türkische Volkshaus will nun den „Kampf um Menschenrechte“ selbst in die Hand nehmen, ruft zur „Selbstverteidigung und Bewaffnung“ sowie für heute zum „Generalstreik“ aller Türken auf. Sprecher Mülayin Hüseyin: „Es muß was geschehen.“

Die große Koalition von Politikern hatte offenkundig gehofft, durch die Abschaffung des Asylrechts die Rechtsradikalen zu besänftigen und der Gewalt ein Ende zu bereiten. Das Gegenteil ist eingetreten: Nach den Morden von Solingen mehren sich nun auch unter Türken Stimmen, die nach Gegengewalt rufen. Grund: Hamburgs Immigranten und Flüchtlinge haben Angst. Mülayin Hüseyin: „Für uns kann das Leben so nicht weitergehen. Das war nicht die Tat von gehirnlosen Jugendlichen, sondern Schuld ist der strukturelle Rassismus in dieser Gesellschaft. Jeder, vom Säugling bis zum Rentner, kann das nächste Opfer sein.“

Für das Volkshaus-Bündnis ist jetzt Gegenwehr erforderlich. Hamide Scheer: „Die Zeit der Trauer ist vorbei. Es beginnt die Zeit des Widerstands.“ Und ein türkischer Student fügt hinzu: „Dazu gehören legale und illegale Aktionen: Wir können nichts Falsches tun, außer, wir tun nichts.“ Selbst Gewalt zum Schutz vor rassistischen Überfällen ist kein Tabu mehr. Scheer: „Laßt euch das nicht mehr gefallen, bewaffnet euch.“

Ein erstes Zeichen des Widerstands soll heute ein Generalstreik aller 68 000 in Hamburg lebenden Türken sein. So sollen, wie schon nach dem Anschlag von Mölln, alle türkischen Geschäfte geschlossen bleiben. Alle ArbeitnehmerInnen sind aufgefordert, ihren Arbeitsplätzen fernzubleiben, Schüler und Studenten sollen den Unterricht boykottieren, Eltern ihre Kids nicht in den Kindergarten schicken. Statt dessen sollen sich alle um zwölf Uhr auf dem Rathausmarkt versammeln oder durch Blockaden das öffentliche Leben zum Erliegen bringen. Hüseyin: „Kein Türke soll heute seinem Alltag so nachgehen wie gewohnt.“ Und Mahmut Erdem: „Die Menschen sollen merken, daß es ein Leben ohne uns in dieser Gesellschaft nicht gibt.“ Die Lichterketten könne dieser Staat sich schenken.

Moderatere, wenngleich auch harte Worte gestern nachmittag auf einer Kundgebung türkischer Sozialdemokraten. Der Schriftsteller Gabriel Laub warnte davor, „Gewalt mit Gewalt zu beantworten“: „Die Rechtsradikalen wollen diesen Staat zerstören. Wenn wir Gewalt anwenden, zerstören wir den Staat, machen wir genau dieselbe Sache wie die Mörder.“

Nach Auffassung von Gökan Arman-Kolpcek von der türkischen Gemeinde muß aber gehandelt werden: Der Rassismus richte sich nicht allein gegen Asylanten, „sondern gegen uns, die Gastarbeiter, die den Wohlstand gebracht haben und die die Rentenkassen gefüllt haben.“ Liedermacher Wolf Biermann fragte Hamburgs Politiker an-

1gesichts des gestrigen massiven Polizeiaufgebots mit zynischem Unterton: „Warum können diese kräftigen, hochintelligenten, hochtechnisierten Männer die kleine Zahl von rechten Terroristen nicht bekämpfen? Wollen sie es nicht, oder dürfen sie es nicht?“ Biermann zum Thema Bewaffnung: „Ich werde ihnen davon abraten, ich kann's aber verstehn, wenn sie's tun.“ Und GALier Peter Zamory: „Wenn der Staat nicht in der Lage ist, die Leute zu schützen, ist das nachvollziehbar. Eine politische Forderung kann es aber nicht sein.“ Kai von Appen/Peter Müller