Die Theorie des Rock 'n' Roll

■ Greil Marcus, Subkultur-Kritiker aus den USA, las im Amerika Haus

Dada, Dachau, Ronald Reagan und Johnny Rotten - da stutzt der ahnungslose Kulturinteressierte zunächst. Aber den rege fragenden Besuchern von Greil Marcus' Lesung Primitive Modernism am Mittwoch im Amerika Haus bereiteten die Gedankensprünge des amerikanischen Pop- und Subkulturtheoretikers offenbar keine Schwierigkeiten.

Der knapp 50jährige Kulturkritiker, an dessen biederem Erscheinungsbild eigentlich nur die schrill- pinkfarbenen Socken von einem gewissen Interesse für Ausgefallenes und „Abgefahrenes“ zeugten, fand in den durchweg jüngeren Hamburgern ein neugieriges Publikum. Diese wurden gut unterhalten von Marcus' Anekdoten, Thesen und Vergleichen quer durch die Kultur- und Subkulturgeschichte. Marcus versucht, über die Analyse von Kunst, Kultur und insbesondere Songs ein neues Gefühl von Zeitgeschichte herauszuarbeiten, dabei Verbindungslinien zu ziehen, die außer ihm keiner zu ziehen wagt. Das Primitive und das Moderne in der Kultur soll meß- und sichtbar gemacht werden.

So ist für ihn beispielsweise der Erfolg der Oriels, einer Formation aus schwarzen Musikern und einer jüdischen Sängerin, im rassengetrennten Amerika der Nachkriegszeit ein herausragendes Ereignis. Action Painting, Elvis und die Beat Generation waren weitere Themen. Daß Marcus die Texte der Sex Pistols als Verkörperung der Nazi-Ikonographie bezeichnet, hätte wohl so manchem Geschichtsprofessor das Blut in den Adern gefrieren lassen, konnte aber die Anwesenden nicht davon abhalten, sich im Anschluß an die Lesung nach Marcus' Musikgeschmack zu erkundigen (Antwort: Nirwana). Dem Provokateur gefiel's, erst nach zweieinhalb Stunden bedankte er sich höflich und verschwand.

Birgit Maaß

Greil Marcus, Lipstick Traces, Rogner & Bernhard 1992