Bewährung für kriminelle Energie

■ Milde Strafe: Hans-Wendt-Buchhalterin veruntreute 470.000 Mark

Bewährung für kriminelle Energie

Milde Strafe: Hans-Wendt-Buchhalterin veruntreute 470.000 Mark

Was prüft eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, wenn sie eine Buchhaltung prüft? Offenbar wenig. „Offensichtliche“, „schwerwiegende, auch formale Mängel“ enthielt die Buchhaltung der Hans-Wendt-Stiftung; in sechs Jahren flossen über 600.000 Mark illegal ab, „und die Hanseatische hat nichts beanstandet“, stellte Richter Kratsch etwas verwundert fest.

Dabei hat die ehemalige Buchhalterin der Hans-Wendt-Stiftung, die sich gestern wegen Untreue vor dem Landgericht verantworten mußte, recht schlichte Tricks verwendet: Sie hat einfach auf Sammelüberweisungsträgern die Lohnsumme erhöht und sich die Differenz aufs eigene Konto überwiesen. Für die Hans-Wendt- Stitung, die sozial benachteiligten Jugendlichen helfen soll, ist das Geld zum großen Teil verloren — mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wird noch über Schadensersatz verhandelt.

Und wo sind die 470.000 Mark, die die Buchhalterin in sechs Jahren abgezweigt hat? Weg. „Davon hätte man ja eine Villa kaufen können!“ staunte Richter Kratsch. Die kleine Buchhalterin der Hans- Wendt-Stiftung hat über Jahre monatlich neben ihrem Lohn zusätzlich 6.000 bis 8.000 Mark auf ihre Konten überwiesen und behauptet, nichts sei übrig. „Unser Lebensstandard war einfach zu hoch“, versuchte die Buchhalterin dem Gericht zu erklären. „Sie haben verdient, Ihr Mann, dazu das Gehalt eines leitenden Regierungsdirektors...“ fragte Richter Kratsch immer noch ungläubig. „Das ist alles so weggegangen?“

In ihrer Erklärungsnot erzählte die Frau. Ihr Mann sei oft abends weggegangen, auch in einschlägige Etablissements. Sie habe das alles mitgemacht und Geld dafür gegeben — in der Hoffnung, daß es irgendwann einmal aufhört.

(Der — inzwischen getrennt lebende — Ehemann ist empört über solche Unterstellungen und verweist gegenüber der taz darauf, er sei EDV-Leiter bei einer großen Firma gewesen und habe genug verdient. Aber das weiß der Richter nicht.)

Zeugen werden nicht mehr gehört. Trotzdem hegt der Richter Zweifel: „Als Sie sich dann von Ihrem Mann getrennt haben, da hätten Sie doch aufhören können?“ Doch sie hörte erst auf, als sie erwischt wurde und rausflog. Seitdem nahm sie nur noch Halbtags- Beschäftigungen im Bereich ihrer Buchhaltungs-Qualifikaton an, ihr Einkommen beträgt gerade netto 1.100 Mark, die arme Frau, und davon läßt sich weiß Gott nichts pfänden.

Aber ihr neuer Freund hat angeboten alles zusammenzukratzen. Anwalt Stoll hat ihn dazu bewegen können, der Stiftung 80.000 Mark anzubieten, wenn sie dafür Ruhe hat und die Stiftung auf alle Ansprüche verzichtet.

Denn nun, erzählte sie dem Gericht, wolle sie ein neues Leben anfangen, ein neuer Freund sei auch da; „endlich der richtige Mann“ für sie, wie Richter Kratsch sie verstand, der ihr helfen will.

Das Verfahren, das im ersten Anlauf für mehrere Tage angesetzt war, ging rasend schnell. Keine Fragen, keine wesentlichen Zeugen, die Angeklagte verfolgte das Geschehen mit unbeteiligter Miene. Die Staatsanwältin forderte nach dreistündigem Schweigen schließlich zwei Jahre Haft, das geht gerade noch auf Bewährung. Der Verteidiger stimmte spontan zu, das Gericht verzichtete aber nicht auf eine kleine förmliche Beratungspause. Die Angeklagte hatte das letzte Wort. „Ich muß sagen, daß ich meine Tat bereue“, sagte sie. Das genügt für die Form. Außergerichtlich scheint der Prozeßtag ordentlich vorbereitet zu sein.

Richter Kratsch schloß sich vollinhaltlich der Staatsanwältin und dem Verteidiger an, zwei Jahre auf Bewährung. „In ihrem Alter“, ließ der Richter wenig charmant einfließen, gäbe es ja wenig berufliche Chancen, wenn sie jetzt eine Haftstrafe absitzen müsse. Sie sei geständig. Weder Verwaltungsleitung und Vorstand noch die Wirtschaftsprüfer hätten sie wirklich kontrolliert, das alles spräche für eine milde Strafe — trotz der „kriminellen Energie“, mit der die einschlägig vorbestrafte Frau über 6 Jahre in 126 Einzeltaten das Geld der Sozialstiftung an sich schaffte.

Die Angeklagte sei hoffentlich von der Gerichtsverhandlung hinreichend beeindruckt, schloß Kratsch. K.W.