Harry zwischen Autos und Klischees

■ Keine Tore für ein erlesenes Publikum beim Hockey -Bundesligaspiel zwischen dem HTHC und dem Club an der Alster Von Claudia Thomsen

„Bitte keine Kippen auf den Kunstrasen werfen“, ist auf dem Schild an der Feldbegrenzung zu lesen. Gespielt wird hier Hockey, dessen Urform in China und Ägypten bereits 2500 v.Chr. die Menschen bewegte, mithin eines der ältesten Ballspiele der Welt. Eine Tatsache, die seltsam mit der aktuellen Szenerie an der Bramfelder Straße, - die Schienen der U-Bahn-Station Borgweg sind hier gut zu erkennen, - kontrastiert.

Am heutigen Sonnabend spielen die Erstligisten vom heimischen Harvestehuder THC und die Nachbarn vom Club an der Alster, insgesamt 22 Mann auf Tore, exakt von der halben Breite, derer, die wir vom Fußball kennen.

Für eine Randsportart beachtliche 600 Fans säumen die 50 Meter lange Torlinie und die gut 90 Meter entlang der Spielfeldseiten.

Und, sind die Anwesenden wirklich jener Gattung taktloser tumber Edelslipper zuzurechnen, wie dies von Außenstehenden gemeinhin getan wird? Ist das Spiel wirklich nur die bewegungsreichere Variante für Söhne von golfspielenden Ärzten, Maklern und Rechtsanwälten? Nun ja, zu sehen sind hier erst einmal echte Fans die sich, da es rund um die Anlage kaum Sitzplätze gibt, auch bei heftigst einsetzendem Regen zwei mal 35 Minuten lang die Beine in den Bauch stehen und die Handgelenke müde rasseln. Einige haben es sich in den, die kleine Tribüne dekorierenden Beeten gemütlich gemacht, wieder andere besetzen die Mauer des Umkleidetraktes auf der anliegenden Baustelle, die sich nach ihrer Verpuppung in eine nagelneue Hockeyhalle (Bauherr: HTHC) verwandelt haben wird. Kinder mit Minihockeyschlägern suhlen sich im Naß, verfolgt von Müttern mit dem „Kommt-einfach-alles-in-die-Maschine-und-dann-in-den-Trockner-Blick“, wenn, ja wenn dieser nicht von der Paloma-Picasso-Sonnenbrille verdunkelt wird: Da sind wir mitten im Klischee und kommen nicht wieder raus. Wie verabredet trägt man hier gestreifte Markenhemden, mit geschlossenen Kragenknöpfen, Klamotten aus der Gegend eben, oder auf dem Part des Jungfernstiegs erstanden, der an den Gänsemarkt grenzt. Nicht viele HamburgerInnen jedenfalls würden sich so gewandet in ein Beet setzen.

Das auf einer Anhöhe liegende Clubheim, zum Gelände gehören auch Tennispältze und -halle sowie ein Schwimmbad, ist über eine Allee zu erreichen. Das Gebäude hat eine Glasfront mit üppiger Terrasse, von der aus sich die roten Grantplätze bequem überschauen lassen. Gleich, so kennt man es aus dem Fernsehen, kommt Derrick um die Ecke, um die Eltern eines flüchtigen verwöhnten Schülers zu befragen. Sein Blick bleibt kurz am Silbernen Loorbeerblatt an der Wand hängen, dem Club 1950 von Theodor Heuss verliehen. Für besondere Leistungen. Harry guckt derweil die Nummernschilder der Wagen durch. Diese sind hier genauso groß, wie sie im Fernsehen immer scheinen.

Unten auf dem Feld ist die erste torlose Halbzeit vorüber. Die Shirts der Spieler, Harvestehude wirbt für deutsches Mineralwasser, der Club an der Alster für englischen Tee, kleben schweiß- und regennaß an den Körpern.

Beide Teams, der HTHC ist Tabellenzweiter, die Alsterjungs liegen nur einen Punkt hinter ihnen, umkämpften die Kunststoffkugel als ginge es um die Meisterschaft. Diese bleibt jedoch, wie in sechs der letzten sieben Jahre, Uhlenhorst Mülheim vorbehalten. Das Team aus dem Ruhrgebiet gilt eben als das beste Europas. Das Lokalduell löst bei Publikum und Spielern jedoch auch ohne Meisterschaftsambitionen eine Euphorie aus, die für Dramatik auch in der zweiten Halbzeit sorgt.

Die Harvestehuder, allen voran Christian „Büdi“ Blunck, den die Fans lieben, weil er sich trotz Berühmtheit immer noch ohne Zaudern zum Ball schmeißt, spielen druckvoll auf, können ihre vielen Chancen und die oft torbringenden Kurzen Ecken jedoch nicht verwandeln. Das Spiel ist schnell, die Schienbeischützer der Aktiven werden aus den im Lauf rutschenden Socken über das Feld geschleudert, auf dem auch die Spieler selbst oft landen.

Nasser „Kura“ - der Kunstrasen hat hier, wie fast alle Spieler, einen Kosenamen - ist sehr glatt. Der Ball wird beeindruckend exakt in hohem Bogen auch über 30-Meter Distanzen geschlagen, herausragende Kunststücke an diesem Nachmittag, denn Tore gibt es keine mehr zu sehen. „Wieder ein ganz unnötiger Punktverlust“, kommentiert Büdi Blunck erschöpft und genau mit jenem Ausdruck von Melancholie, den wir bei Fuball-, Handball- oder Rugbyspielern so lieben.