SPD: Panik auf der Titanic?

■ In der SPD wächst Angst vor Machtverlust nach der Wahl  von F. Marten

„Für Rot-Grün stehe ich nicht zur Verfügung!“ – Stadtchef Henning Voscherau wußte, was er den rechten Wandsbeker Genossen des berüchtigten „Lauenburger Kreises“ schuldig war. „Eine große Koalition mit der CDU ist absolut ausgeschlossen!“ – führende GenossInnen des SPD-Parteivorstandes wußten, welche Botschaft sie dem taz-Reporter zu übermitteln hatten. „Mit dieser FDP werden wir nie und nimmer zusammengehen!“ – eine klare Mehrheit in den Führungszirkeln der SPD-Fraktion zieht derzeit einen glasklaren Trennungsstrich zwischen sich und den nach Rechtsaußen abdriftenden Elbliberalen.

Einig sind sich Hamburgs Sozis gegenwärtig nur in der Ablehnung von allem politisch Fremden: Hinter der Fassade, einer geschlossenen SPD, die entschlossen um die absolute Mehrheit kämpft, zeigen sich tiefe Risse, alte Wunden brechen auf. Die Schattenseiten jener Wagenburg-Mentalität, die Stadtchef Voscherau seiner Partei nach dem Neuwahl-Urteil verordnete, werden immer deutlicher: Koalitionsfragen sind tabu, doch jeder diskutiert sie. Erneuerungsfragen sind tabu, doch totgeschwiegene Konflikte um Verkehrspolitik, Frauenpolitik und Umweltpolitik brechen wieder auf. Personalfragen sollten tabu sein, doch der Kampf um die Bürgerschaftslistenplätze und Startlöcher für eine weitere Senatskarriere war erbittert und überraschungsreich.

Besonders deutlich wurde dies im SPD-Kreis Wandsbek, Heimat der berühmt-berüchtigten „Wandsbek-Connection“. Hungrige rechte Nachwuchs-Jusos rückten dort ihren rechten Ziehvätern so auf die Pelle, daß diese unkontrolliert zurückschlugen. Opfer war der Juso Andreas Turkat, der trotz eines Votums seines Distrikts nicht für die Bürgerschaft nominiert wurde. Dieser Eklat auf der Wandsbeker Kreisdelegiertenversammlung am 14. Juni spülte dafür mit Holger Kahlbohm und Detlef Umbach zwei Linke auf aussichtsreiche Bürgerschafts-Listenplätze.

Nicht nur das: Das alte Herrschaftsinstrument der SPD-Rechten, der „Lauenburger Kreis“, wurde schwer angeschlagen. Ein Teil der bisherigen Mitglieder will diesen Kreis jetzt verlassen, womit Voscheraus wichtigstes Machtinstrument zumindest teilentwertet würde: Sand im traditionellen Mechanismus, von hier aus Mehrheiten bis hin zu Landesparteitagen zu organisieren. Dabei funktionierte die dreistufige Wandsbek-Connection bislang prima: Im innersten Machtzirkel legen Kreisvorstand (Peter Zumkley, Rolf Lange, Petra Brinkmann) gemeinsam mit den Wandsbeker Eminenzen Gerd Weiland, Henning Voscherau und Günther Elste die Richtlinien der Politik fest. Im sogenannten „Kellerparlament“ dürfen die laut der penibel geführten Kartei des Lauenburger Kreises „sicheren“ GenossInnen der zweiten Reihe mitreden – im Plenum, dem offiziellen Lauenburger Kreis, das sich immer vor wichtigen SPD-Kreissitzungen im Altenwohnheim Nordlandstraße trifft, wird dann das rechte Fußvolk auf das erforderliche Abstimmungsverhalten eingeschworen.

Die vielleicht letzte fröhliche Sitzung dieses Kreises am 3. Juni erlebte einen kämpferischen Henning Voscherau: Er versprach seinen Kumpels, er stehe weder für Rot-Grün noch Immobilien-FDP-Rot-Gelb zur Verfügung. Das freilich mißfiel einigen, die an das Wunder einer neuen absoluten SPD-Mehrheit nicht glauben mochten. Man machte sich Mut: Notfalls werde die SPD eben nochmal wählen lassen. Peter Zumkley, als blasser Bonnsenator schon auf der Abschußliste seiner politischen Freunde, redet inzwischen öffentlich gar die FDP gesund. Nur sie, so weiß er, könnte sein Senatsamt eventuell retten. Ganz anders Günther Elste, der, um eventuell Voscherau zu beerben, fast jede grüne Kröte schlucken würde.

Voscherau weiß, wie gefährlich sein Drahtseilakt wird, sollte er die absolute Mehrheit verfehlen. Er spielt deshalb schon heute ständig seine letzte Karte: „Ihr habt ja keinen anderen als mich.“ Mit diesem Trumpf, so hofft er, könne er sich den Koalitionspartner nach dem Wahlabend persönlich frei auswählen. Führende GenossInnen, die Perspektive und Profil in Voscheraus Politik schmerzlich vermissen, räumen ein, daß Voscherau es bislang geschafft hat, das Aufkommen einer echten innerparteilichen ThronanwärterIn zu verhindern. Aber, so ein Spitzensozi zur taz: „Nach einer Wahl ist vieles unkalkulierbar. Voscherau wird so klug sein, seine politische Karriere nicht aufs Spiel zu setzen.“ Auf deutsch: Notfalls wird er auch Rot-Grün über sich ergehen lassen.