Die Stange im Gedächtnis

■ Auf dem Laufsteg: Die Abschlußklasse der Mode Schule Berlin zeigte, was schlanke Damen gerne tragen

Bei manchen Berufen spricht man metaphorisch von der Schere, die ihre VertreterInnen im Kopf haben. Das erinnert an Produktionsrituale längst verflossener Zeiten. Allein, am Phänomen hat sich nichts geändert, und da der Computerbefehl „Markiere Del“ der Phantasie doch eher unzugänglich ist, beläßt man es bei der antiquierten Schere, um JournalistInnen ihre geistige Unfreiheit und den vorauseilenden Gehorsam im Dienste des reibungslosen und möglichst produktiven Arbeitsablaufes ins Gedächtnis zu rufen.

Was hier die Papierschere, ist bei den SchneiderInnen, ModedesignerInnen und BekleidungsfertigerInnen die Stoffschere. Die Stoffschere, die stellvertretend für den Produktionsparcours steht, den ein Fetzen Stoff quer durch die Welt zurücklegen muß, um in neuer Form und tausendfacher Ausfertigung endlich in einem x- beliebigen Kaufhaus an der Stange zu hängen. Eine Schere, die mit Spleens, eigenwilliger Kreativität und der Phantasie kurzen Prozeß macht. Schnippschnapp. Schnippschnapp. Jedoch: Ihr Klappern wurde übertönt. In der tristen Tiefgarage des OSZ Textiltechnik in der Kochstraße drängelten sich die Schönen, die SchülerInnen, Eltern, Tanten, pubertierenden Schwestern und Brüder im Lausbubenalter. Ein überdimensioniertes Familientreffen, dessen Anlaß der Schulabschluß einiger Töchter (und Schwestern) war. Weil's der Abschluß an der Mode Schule Berlin war, gab es eine Modenschau, und weil es die (im Vergleich zur Ausbildung im Lette-Verein und an der HdK) gediegene Mode Schule Berlin war, schwebte eben jene Schere über den Köpfen, deren Klappern nun niemand zu vernehmen imstande war. Vielleicht lag's an der schlechten Akustik, denn selbst von der Ansage des Organisatoren, Herrn Quack, war nur ein undeutliches Murmeln zu hören. Um so ausgiebiger weilte deshalb unser Blick auf seiner dezenten Kleidung – ein schwarzes Etwas für obenrum auf der Gratwanderung zwischen Adidas-Fußballerdreß und Mozart-Piraten- Look.

Aber zurück zur Schere. Christina Gleixner, die CM-(„Cration Mademoiselle“)Preisträgerin der Sommerkollektion, erklärt, wieso in der OSZ-Tiefgarage niemand sein modisches „blaues Wunder“ erleben konnte. Fünf Jahre Berufserfahrung gehen der Schulausbildung voraus, genug Zeit, um zu lernen, daß schon beim Entwurf der Bekleidungsfertigerinnen die Stange im Gedächtnis sein muß.

Die körperliche Stangenform ist demnach auch die idealste, um diese Modelle zu tragen. Alles figur-, vor allem taillenbetont. Dazu trägt Frau Jäckchen und Blüschen, die knapp unterm Busen enden. Auch im Winter. Der Gesundheit wegen schlägt die Modeschülerin den altbewährten Nierenwärmer, natürlich farblich abgestimmt, vor. Dafür können die Schlaghosen knackig tiefer sitzen, dürfen aber nicht weiter als bis zum Knöchel reichen – wohl um den unumgänglichen Plateauschuhen nicht den Auftritt zu verpatzen.

Bei all dem Drüber und Drunter (ein Anzugjäckchen ist saisonal bedingt ein unbedingtes Muß, wie Frau sich seit längerem schon an jeder Stange überzeugen kann), dem breiten Jackenrevers bei angemessener Kürze derselben, den Tweed-Karo-Kreationen, dem einfachen, schlichten Cocktailkleid (in Seide, was sonst!) sehe auch ich nur die Stange. Manchmal allerdings, in lichteren Momenten, sehe ich auch David Hemmings aus „Blow Up“ (1967) seine Modelle fotografieren – diese allerdings haben von ihrem Glanz über die Jahre leicht verloren. Petra Brändle