Die Grüne Insel säuft langsam ab Von Ralf Sotscheck

„Nachts stellenweise Bodenfrost“, sagte der irische TV-Wetterfrosch Gerald Fleming vorgestern, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber er hatte auch eine gute Nachricht: „Wir werden für lange Zeit keinen Regen mehr sehen – möglicherweise sogar bis Mittwoch.“ Das war gelogen. Wie inzwischen üblich, schüttete es auch gestern pausenlos. Die versprochene Hitzewelle – das Thermometer sollte auf unvorstellbare 18 Grad klettern – blieb ebenfalls aus. Das Wetter ist selbst in normalen Zeiten Hauptgesprächsthema in Irland. „A lovely day, isn't it“ ist vor allem auf dem Land die häufigste Begrüßungsformel, auch wenn der nasse Hut auf dem Kopf eigentlich dagegenspricht. Heinrich Böll hat in seinem Irischen Tagebuch ausführliche, aber verharmlosende Betrachtungen über das Klima angestellt. Seitdem haben Wissenschaftler festgestellt, daß Irland gar kein Klima hat. Das läßt sich nämlich nur durch bestimmte Regelmäßigkeiten über einen längeren Zeitraum ermitteln. Auf der Grünen Insel werden dagegen ständig meteorologische Rekorde gebrochen: der kälteste März, der trockenste August oder – wie im vergangenen Monat – der feuchteste Mai in der Geschichte. Wer im Gegenzug auf den wärmsten Juni gehofft hatte, wurde bitter enttäuscht. Dabei ist die frostige Nacht zu gestern lediglich das Tüpfelchen auf dem i der Witterungskatastrophe. Eine Woche zuvor hatte es eine klimatische Besonderheit gegeben, die Gerald Fleming in höchste Verzückung trieb: Genau über Dublin hatten sich zwei Tiefs vereinigt und mit geballter Kraft die Hauptstadt unter Wasser gesetzt. Innerhalb von 24 Stunden gingen 109 Millimeter Regen nieder – soviel wie sonst im ganzen Monat nicht. „Ein extremes Ereignis, wie es höchstens alle hundert Jahre mal vorkommt“, frohlockte Fleming, der offenbar hoffte, dadurch wenigstens als Fußnote in die meteorologische Geschichte Irlands einzugehen. Die AutofahrerInnen teilten seine Begeisterung nicht. Sämtliche Ausfallstraßen waren überflutet, auf dem kurzen Autobahnstück zum Dubliner Flughafen hatten Dutzende von Menschen ihre Blechkisten im Stich gelassen und versucht, sich zu Fuß zum Airport durchzuschlagen. In den Abendnachrichten war ein Junge zu sehen, der auf einer Hauptstraße in Süd-Dublin nach seinem Labrador tauchte und den erschöpften Hund schließlich auf das Dach eines Lieferwagens zerrte. Auch die englische Königin litt unter dem Wetter. Sie hatte sich diesen Tag für eine Stippvisite in Nordirland ausgesucht – ihr dritter Besuch in 20 Jahren. Die nordirischen Honoratioren standen auf der Garden Party im Schloß Hillsborough wie begossene Pudel herum. Ihren Untertanen auf der anderen Seite der Irischen See erging es nicht besser. Am schlimmsten traf es die Region um Llandudno in Nord-Wales: 2.000 Häuser sind am Donnerstag durch den sintflutartigen Regen zerstört worden. Auf eine Wohnsiedlung am Stadtrand gingen innerhalb von drei Stunden 350 Millionen Liter Wasser nieder. Der Katastrophenschutz verteilte Sandsäcke, um das Gröbste zu verhindern. Manche Leute erwiesen sich allerdings als recht eigennützig. „Eine Frau verlangte sämtliche 150 Säcke auf unserem Lastwagen“, sagte ein Helfer. „Die blöde Kuh wollte ihren verdammten Swimmingpool schützen.“