■ Invasion der Schwammspinnerraupen in Franken
: Die deutsche Eiche als Opfer

Neustadt (taz) – Sie sind grau, behaart und nur sechs Zentimeter groß – aber sie versetzen eine ganze Region in Angst und Schrecken. Abermillionen von Raupen des Schwammspinners fressen sich quer durch Franken. Sie vertilgen alles Grüne, was ihnen in den Weg kommt – bevorzugt Laubwälder und Obstbäume. Und die gab es rund um den mittelfränkischen Ort Ergersheim im Landkreis Neustadt/Aisch.

Was bislang als „einzigartig in ganz Europa“ galt, gehört jetzt der Vergangenheit an. Der Eichenmischwald sieht aus wie im Winter. Kein Blatt ziert mehr den deutschen „National“-Baum, alles ist grau und kahl. „Man meint, da ist ein Entlaubungsmittel eingesetzt worden“, steht Bürgermeister Gerhard Wunderlich schockiert vor den Baumresten. Die Verursacher wimmeln in dicken Trauben am Boden und ziehen weiter. „Sie marschieren auf Grünland, Rapsfelder und Weinberge zu“, warnt der Bayerische Bauernverband. Allein in Mittelfranken sind jetzt rund 8.000 Hektar Wald von den Raupen befallen, die 350 Hektar bei Ergersheim werden sich davon wohl nicht mehr erholen. Besonders schlimm hat es die unterfränkische Gemeinde Ebelsbach erwischt. Geradezu gespenstisch sieht es in den jahrhundertealten Hochwäldern aus, einige der Dorfbewohner sind gar für ein paar Tage aus ihren Häusern geflüchtet. Trotz Abdichtung von Fenstern und Türen drangen die Raupen über Dächer und Rohre in die Wohnungen ein und schlugen die Bewohner in die Flucht. Die Feuerwehr hob tiefe Gräben am Rande des Berghanges aus und füllte sie als Falle für die Raupen mit Wasser. Tonnenweise fischten die Ebelsbacher die ertrunkenen Raupen aus dem Graben und verbrannten sie anschließend.

Ein Ende der Invasion ist noch nicht in Sicht. Der Schwammspinner verpuppt sich in der Regel im August oder im September. Bis dahin wird gefressen, was das Zeug hält, notfalls auch Plastik, wenn es an Grünzeug fehlt. Die ausgeschlüpften Schmetterlinge werden dann wieder neue Eier legen. „Im nächsten Jahr wird die Invasion noch größer werden“, ist sich Gerhard Wunderlich sicher. Für seinen Ebelsbacher Kollegen Emil Däschner gibt es dennoch keinen Zweifel: „Das passiert nicht noch einmal, da können Sie Gift drauf nehmen.“ Er will im nächsten Jahr den Raupen mit der Giftspritze zu Leibe rücken. Bislang ist dies nicht erlaubt, denn ein Großteil der befallenen Wälder sind Naturschutzgebiete. Das gegen den Schwammspinner besonders wirksame Insektizid Demilin darf dort nicht angewandt werden. Auf dieses Gift schwört auch Bürgermeister Wunderlich. „Wir wollen wieder die Verfügungsgewalt über unsere Wälder haben“, kündigt er massives Vorgehen von Gemeinde und Waldbauern bei den zuständigen Behörden an. Naturschutz hin oder her, es müsse erlaubt werden, mit chemischen Mitteln die Invasion bekämpfen zu dürfen.

„Die Freßaktion geht zu Ende“, versucht Otto Jodl, Naturschutzreferent der Regierung Mittelfranken, die aufgebrachten Bauern zu beruhigen. Jodl spricht sich strikt gegen den Gifteinsatz aus, schon wegen des Artenschutzes brauche man auch noch „giftfreie Räume im Wald“. Darin ist er sich mit Nordbayerns BUND-Naturschutz-Chef Hubert Weiger einig. Der Wald sterbe nicht wegen des Schwammspinners, diagnostiziert Weiger, sondern „wegen Dauerstreß und Luftbelastung“. Kranke Bäume seien nun einmal anfälliger als gesunde, zudem habe die Klimaerwärmung die explosionsartige Vermehrung des Schwammspinners mitverursacht. Davon unbeirrt setzt die Schwammspinnerraupe ihren Siegeszug fort. Bernd Siegler