Bohemien und Diva

■ Zum Tode von Alfred Edel, der auch in Nebenrollen immer Hauptdarsteller war

Wenn sich Alfred Edel an einem sonnigen Tag durch Frankfurt chauffieren ließ, dann grüßte er nicht mit einem knappen Blick oder Wink, nein, er hob huldvoll die Hand, begleitet von seinem unvergleichlichen Schmunzeln. Viel lieber aber flanierte er durch die Straßen, immer bereit, eine Diskussion, eine Debatte zu führen. In einer Zeit, wo all dies ausgestorben zu sein scheint, war er Flaneur, Bohemien und Diva in einem.

Ob zu Streitfragen des Katholizismus oder der Volkswirtschaft – kraft der besseren Argumente behielt er das letzte Wort. Wer noch Fragen zur Kritischen Theorie hatte, Alfred Edel brachte komplizierte Sachverhalte in wenigen Sätzen auf den Nenner und riß dabei sein begeistertes Publikum mit.

Doch seltsam und logisch zugleich – wollte man später seine Gedankengänge noch einmal für sich allein nachvollziehen, zerrannen sie einem unwiderbringlich, je weiter man darüber nachgrübelte. Denn Edel war kein Repräsentant für irgendwelche Zeitgeistströmungen oder -schulen. Er repräsentierte nur sich selbst. Er stellte in seinen unzähligen Auftritten als Professor, Hausmeister, Forscher, Heiratsvermittler etc. immer nur sich selbst dar. Deshalb ist es kein Zufall, daß er in vielen seiner „Rollen“ Autoritäten auf unterschiedliche Art und Weise darstellte. Diese Autorität hatte er sich – weiß der Himmel wie – auch privat angeeignet.

In all dem war Alfred Edel immer so etwas wie ein Avantgardeforscher. Als sein Freund Alexander Kluge in „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ noch die Gewalten beklagte, die einen in den Griff bekommen wollen, war er diesem schon wieder um eine Nasenlänge voraus. Er versuchte die Autorität in den Griff zu bekommen, sie zu besetzen, sich ihrer zu bedienen, in seiner ihm ureigensten, eben der ironischen, der komödiantischen, der subversiven Art.

Streng genommen zerfällt der deutsche Nachkriegsfilm in zwei Teile: in Filme mit Alfred Edel und in solche ohne ihn. Egal ob Alexander Kluge oder Edgar Reitz, Werner Herzog oder Christoph Schlingensief, Straub oder Syberberg – stets war er in ihren Werken mehr als ein Darsteller. Immer war er auch Mit-Regisseur, Mit-Autor, Mit-Ideengeber.

Dabei hat der gebürtige Niederbayer zwar das Knabenseminar der Diözese Passau, aber nie eine Schauspielschule besucht. 1963 verschlug es ihn an das politologische Seminar der Frankfurter Universität, wo er eine Weile als wissenschaftlicher „Gelegenheitsassistent“ arbeitete. Weniger den Vorlesungsbesuchen als den Aufenthalten in den umliegenden Kaffeehäusern verdankte er sein Debüt als Schauspieler. Nach den dortigen Diskussionen entstand Kluges „Abschied von Gestern“. Seit dieser Zeit wirkte er an nahezu 100 Produktionen mit.

Unabhängig davon, an welcher Stelle der Besetzungsliste er aufgeführt wurde, immer war er Hauptdarsteller, wie kurz die Auftritte auch waren. Auf die Frage, ob es eine Rolle gebe, die er abgelehnt habe, antwortete er einmal mit einem schlichten Nein.

Sein Metier war die Verteidigung der Gegenwart gegen die übrige Zeit. Am letzten Donnerstag erlag der erst 61jährige auf dem Heimweg von einer Theaterpremiere in Frankfurt einem Herzversagen. Matthias Kittmann