Lauter falsche Identitäten

■ Marlene Streeruwitz' „Elysian Park.“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin uraufgeführt

Marlene Streeruwitz ist die Dramatikerin mit dem Punkt hinter ihren Stücktiteln: „Waikiki Beach.“ war das erste Stück der in Wien lebenden Autorin, das 1990 am Schauspiel Köln uraufgeführt und sofort in den deutschen Bühnenhimmel gelobt wurde. Auf „Waikiki Beach.“ folgte „Sloane Square.“, wieder in Köln, Anfang 1993 kam in München „New York. New York.“ heraus und jetzt in Berlin „Elysian Park.“. Alles Stücke, die sie zehn Jahre zuvor geschrieben hat und die in den Schubladen der Dramaturgen der Aufführung harrten. Haben Sie es gemerkt? Der Punkt bekräftigt in jedem Fall eine Ortsangabe, die bei näherer Betrachtung sich verflüchtigen könnte – so als wolle sie das Stück festnageln.

Die Uraufführung von „Elysian Park.“ sollte man allerdings lieber mit einem Fragezeichen versehen, so matt erschien diese Inszenierung von Gastregisseur Harald Clemen am Deutschen Theater in Berlin, so unwesentlich, flüchtig, bieder. Überall und nirgends und doch in Amerika befindet sich dieser „Elysian Park.“, den Bühnenbildner Raimund Bauer nach den Regieanweisungen der Autorin brav gebaut hat: einige Palmen, eine Autobahnbrücke, Parkbänke und Papierkörbe. Ein Schild gibt englisch Auskunft: For Dogs and Horses only! Das Licht bleibt die Inszenierung über gleich; vom Band kommt der Soundtrack, das Geräusch fahrender Autos, der sich nach kurzer Pause wiederholt. Alle paar Minuten tritt ein Mann mit einem Vogelkäfig auf, der einen Trillerruf ausstößt, um einen (entflohenen?) Papagei zu locken; ein running gag, über den keiner lacht. Der brave Realismus der Szenerie beißt sich mit der erforderlichen Künstlichkeit des Ortes und seiner unwirklichen Stimmung.

Ähnlich verhält es sich mit den Darstellern, die ja allesamt einem glänzenden Ensemble angehören. Hier wirken sie ebenso matt wie die Inszenierung, kraft- und harmlos, weil sie in einen Realismus gezwungen werden, der völlig im Leeren agiert. Woraus zwangsläufig eine Art Lähmung resultiert. Die abgerissene Sprache der Streeruwitz handhabt man wie ein Butterbrot, an dem man irgendwie herumkaut, ihre Trivialität wird weder unter- noch über-, geschweige denn hintertrieben. Die Wendung ins Komische findet nicht statt, bloß ansatzweise und nicht von innen heraus, wie eine übermalte Kulisse, in der plötzlich Sozialarbeiter im Outfit von Freizeitclowns, etwas depperte Polizisten und Agenten auftauchen und das bis dahin vor sich hin plätschernde Stück in einem verwirrenden Enthüllungsspiel kulminieren lassen. Aber das ist dann nur noch gutgemeinte Satire, die an der Klischierung der Klischees scheitert.

Im Stück ist die Spannung zwischen existenzieller Verallgemeinerung und symbolischer Zuspitzung angelegt; in der Inszenierung Harald Clemens entlädt sie sich ins Nichts. Marlene Streeruwitz läßt die Zuschauer lange darüber im Ungewissen, worum es eigentlich geht.

Die Ausgangssituation ist sozusagen präbeckettsch. Drei Frauen, die auf einer Parkbank stricken, häkeln, sticken und plaudern, derweil die ihnen anvertrauten Krüppel, alles alte Männer und Veteranen, in ihren Kinderrollstühlen in der Sonne dösen und im Notfall eine Spritze in den Arm gerammt bekommen. Ab und an verschwindet eine der Schwestern, aus Gründen, die wir erst später erfahren.

Bis alle aufeinander treffen und die ganze Wahrheit ans Licht kommt: Einer der Patienten im Rollstuhl ist ein alter Nazi, der vom Geheimdienst gejagt wird, der andere der leibliche Bruder der ihn betreuenden Schwester, die ihm eine neue Identität verschaffen möchte. Auch die Schwestern sind gejagte Wesen, sie haben nur befristete Aufenthaltsgenehmigungen: die eine arbeitet darum für den Geheimdienst, die andere erschießt einen Mann, der sie mit der Asche ihres verstorbenen Bruders erpressen wollte. Ausgewiesene Ausländer dürfen nicht im Land beerdigt werden, erklärt einer der Polizisten.

Polizeistaat, Einwanderungsgesetze, illegale Existenzen, falsche Identitäten, jeder gegen jeden – hinter der unwirklichen Szenerie im Park zeichnen sich reale Konflikte und Themen ab, die, gerade weil sie unscharf gezeichnet sind, besonders bedrohlich wirken könnten.

Wenn nicht die Regie versucht hätte, gerade die Realitätsmomente zu karikieren, statt sie zu verdichten. Die Geheimdienstfrau hat sich in ein superenges Kostüm gezwängt, dessen Jacke sie im Sitzen aufknöpfen muß, um Luft zu bekommen. Eilfertig gibt sie jede Information in ihren Laptop ein. Die Polizisten sind gekleidet wie alle Cops in amerikanischen Fernsehserien, ebenso charming und ebenso tumb. Die Sozialarbeiter – mit Clownsnasen – sind echt gruppendynamisch aktiv; auf wen oder was zielen diese Karikaturen? Sabine Seifert

Marlene Streeruwitz: „Elysian Park.“ Regie: Harald Clemen. Bühne: Raimund Bauer. Mit Christine Schorn, Gabriele Heinz, Simone von Zglinicki, Johanna Schall, Dietrich Körner, Horst Hiemer, Reimar Joh. Baur, Udo Kroschwald, Eva Weißenborn, Horst Lebinsky. Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin. Nächste Aufführungen: 21. Juni und 1. Juli.

Premierenbesucher: Irgendwie. Weißt du. Irgendwie muß es so. So gewesen sein. Wenn man mehr Zeit hat. Zum Nachdenken. Und reden. Die reden da ja nicht. Dann. Es könnte schon besser sein. Dann.

Premierenbesucherin: Ja. Reden. Richtig reden. Weißt du. Gespräche. Das haben die nicht gehabt. Wir haben das doch verlernt. Vollkommen. Und keine Zeit. Oder? Wir haben doch keine Zeit mehr. Einfach nicht.

(Marlene Streeruwitz: „Passion. Devoir. Kontingenz. Und keine Zeit.“)