Japan steht vor der Wende

■ Comeback der Regierungspartei scheint ausgeschlossen

Tokio (taz) – In Japan hat sich am Wochenende die erste politische Wende seit Gründung und Machtübernahme der Liberaldemokratischen Partei (LDP) im Jahr 1955 angekündigt. Erste Meinungsumfragen nach dem Sturz der LDP-Regierung über ein Mißtrauensvotum zeigten gestern einen deutlichen Meinungsumschwung in der Bevölkerung: Bei den von der Regierung für den 18. Juli einberufenen Parlamentsneuwahlen wollen laut einer Umfrage des Fernsehsenders Asahi bei 1.000 Personen nur noch 14 Prozent die alte LDP wählen. Dagegen sprachen sich 21 Prozent für die Dissidentengruppe innerhalb der LDP aus, die am Freitag dem Mißtrauensantrag der Opposition zum Erfolg geholfen hatte. Beobachter halten es inzwischen für ausgeschlossen, daß die LDP bei den nächsten Wahlen noch einmal die absolute Mehrheit gewinnt, die sie seit nunmehr 38 Jahren innehat.

Eine Comeback der LDP scheint ausgeschlossen, nachdem sich die parteiinterne Dissidentengruppe unter Führung des ehemaligen Finanzministers Tsutomu Hata und des Parteistrategen Ichiro Ozawa am Samstag für die Loslösung von der LDP und eine Parteineugründung bereits an diesem Mittwoch aussprach. Nach ihren bisherigen Aussagen streben die LDP-Dissidenten ein Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten und anderen Oppositionsparteien an. Der Generalsekretär der Sozialdemokraten, Hirotaka Akamatsu, sprach sich gestern ebenfalls für ein solches Bündnis aus. Koalitionsgespräche zur Bildung einer Regierung ohne LDP begannen am Samstag.

So wie sich seit Jahrzehnten in Japan ein politischer Konsens behauptet hatte, demzufolge allein die LDP das Land zu regieren vermochte, erscheint die vorherrschende Meinung nun wie ausgewechselt: „Zum Regieren unqualifiziert“, überschrieb die bislang regierungstreue, englischsprachige Japan Times am Sonntag ihren Leitartikel über die LDP.

Dem Stimmungswechsel waren in den letzten Jahren etliche Korruptionsskandale vorausgegangen, nach denen die LDP wiederholt politische Reformen versprach, ihre Zusagen jedoch nie einlößte. Als dann vergangene Woche ein für Reformen maßgebliches neues Wahlgesetz von der LDP-Spitze auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben wurde, revoltierten in der LDP die Befürworter eines Reformkompromisses mit der Opposition. Das daraufhin erfolgreiche Mißtrauensvotum zwang Premierminister Kiichi Miyazawa das Parlament aufzulösen und Neuwahlen einzuberufen. Georg Blume