„Defizitproblem nicht über den Fahrpreis lösen"

■ Fahrgastzahlen im Rhein-Ruhr-Verkehrsverbund um 30 Prozent gesteigert

Professor Hermann Zemlin ist Chef der Wuppertaler Stadtwerke und Ex-Geschäftsführer des größten Verkehrsverbundes Europas Rhein-Ruhr (VRR)

taz: Sie haben 1990 die Geschäftsführung des VRR übernommen und seither die Zahl der Fahrgäste um 30 Prozent steigern können. Gleichzeitig stieg das Defizit: Der Nettozuschuß der Kommunen erhöhte sich seit 1990 von 160 auf etwa 450 Millionen Mark in diesem Jahr. Gibt es keine Alternative zu der Formel „je mehr Fahrgäste, um so größer das Defizit“?

Hermann Zemlin:Die kommunale Belastung ist vor allem durch höhere Lohntarife gestiegen. Dennoch ist es richtig, daß mit der Zahl der Fahrgäste auch das Defizit etwas steigt. Diesen Ausgaben muß man die Umweltentlastungen und geringere Aufwände etwa für Straßen- und Parkplatzbau gegenüber stellen. Man kann das Defizitproblem nicht über die Preise lösen. Wir haben im VRR rund 800 Millionen DM Einnahmen. Über eine Fahrpreiserhöhung bekommt man im Jahr maximal 40 Millionen Mark mehr. Geht man mit den Preisen sehr stark nach oben, wandern viele Kunden ab, so daß auch nicht mehr eingenommen wird als bei geringerer Preiserhöhung mit weniger Fahrgastverlusten. Da der Zuschuß der Kommunen für den VRR inklusive der Infrastrukturleistungen bei etwas mehr als einer Milliarde Mark liegt, kann man mit Mehreinnahmen von 40 Millionen nicht viel ausrichten. Auch beim Autoverkehr haben wir nur eine Teilkostendeckung. Würden den Autofahrern alle Kosten in Rechnung gestellt, einschließlich der Umweltkosten, müßte der Liter Benzin etwa 6 Mark kosten.

Es gab innerhalb des VRR massive Kritik an ihrer Politik der niedrigen Preise.

Wir haben während meiner Amtszeit ein einziges Mal eine Preissenkung vorgenommen — und zwar beim Ticket 2000. Unsere damaligen hohen Preise für Monatskarten wurden bei unseren Kunden nicht mehr akzeptiert. Die Fahrgastzahlen schrumpften in den 80er Jahren jährlich um 3 Prozent. Wer die Menschen in die Busse und Bahnen zurückholen will, der muß auch eine Preispolitik machen, die die Leute akzeptieren.

Sie haben im April, zwei Jahre vor Vertragsende, den VRR verlassen um zu den Wuppertaler Stadtwerken zu wechseln. Lag das an den Querschüssen aus den Kommunen?

Nein. Ich möchte hier in Wuppertal zeigen, daß wir den Nahverkehr ohne Leistungseinschränkungen zu Kosten erbringen können, die für die Stadt noch bezahlbar bleiben. Das kann man nur in einem Unternehmen vor Ort machen, nicht von der Spitze des VRR aus.

Sie wollen den öffentlichen Nahverkehr durch Angebotsverbesserungen zum Hauptverkehrsmittel in den Städten machen, zum Beispiel durch die Verkürzung der Taktzeiten. Wie teuer käme ihre Vision den Kommunen?

Überschlägig würde die Belastung der Kommunen um 30 Prozent steigen, aber dann hätten sie ein Nahverkehrssystem, das eine Verdopplung bis Verdreifachung bei den Fahrgastzahlen brächte und damit eine wirkliche Entlastung der Straße und der Umwelt.

Interview: Walter Jakobs