„Dann viel Glück!“

■ Wird Michael Leinert der neue Bremer Intendant? In Kassel freut man sich schon

„Auje, dann viel Glück!“ wünschte uns ein Theaterabonnent aus Kassel, „den könnt ihr haben“, sagte er und meinte wahrhaftig den Michael Leinert, der seit zwei Jahren das Staatstheater in Kassel leitet und nunmehr wohl zum Nachfolger Heymes in Bremen ausersehen ist. Heute sitzt der Aufsichtsrat der Theater-GmbH abschließend über den vier verbliebenen Kandidaten; Leinert ist mit Abstand der Favorit, und Helga Trüpel betreibt die Inthronisation mit schwindelerregender Eile: Grund mehr als genug, einmal in Kassel nachzufragen.

Dort druckst man gehörig und verweist erst einmal auf die vielen Ärgernisse wegen der Asbestsanierung des Schauspielhauses, welche Leinert schon famos gemeistert habe, und zwar aus dem Stand. Aber, aber! Spielplan? Langweilig. Organisation? Wurschtelig. Eigene Inszenierungen? Flops. So hört sich ziemlich unisono an, was aus Kassel in punkto Leinert zu hören ist.

„Die Frage, ob hier sein Vertrag überhaupt verlängert werden soll, ergäbe wohl ziemlich heiße Diskussionen“, sagt Dirk Schwarze, der Feuilletonchef der Kasseler Regionalzeitung „HNA“. Leinerts Führungsstil beispielsweise sei „nicht immer berechenbar“, sagt er, ja, der Intendant neige ein wenig ins „Cholerische“; er habe, infolge „sprunghafter Personalpolitik“, nun auch schon eine Reihe von Theateraufständen überlebt; im künstlerischen Bereich dagegen wartet man noch immer auf Wagnisse, und „Glanzlichter“ schon gar.

Für den Techniker Jürgen Köhler ist die holprige Organisation, das „Chaos im Betriebsbüro“ das Hauptproblem. Vieles laufe schief, Absprachen würden nur hopplahopp getroffen; und wer muß es wie immer ausbaden? Sonst sei er schon zufrieden mit dem Chef. Daß aber mehr Vorstellungen denn je abgesagt, ausgetauscht oder verschoben werden müssen, das bestätigen alle Befragten.

Auch Wolfgang Berger, Schauspieler im Ensemble, klagt über eine „ziemlich undurchsichtige Disposition“, jedenfalls im Schauspiel. Berger allerdings hat viel Verständnis für Leinert, der ja „unter unglücklichsten Umständen antreten mußte“ und sich wacker geschlagen habe. Nur im Opernfach, in Leinerts eigenen Inszenierungen, seien „fragwürdige Dinge“ geschehen: „Teuerste Gäste“, z.B. die Sängerin der Isolde in Wagners „Tristan“, die stimmlich nicht einmal die Premiere durchstand; überhaupt Leinerts Neigung, sich mit großen Namen von außerhalb den Erfolg einzukaufen, wenn auch vergeblich.

In seiner „Fledermaus“ hatte er sogar den Karl Dall aufgeboten, und die Klamotte kam doch nicht an beim Publikum. Daß Leinert ohnehin Schwierigkeiten mit diesem „Populismus“ habe, findet der Schauspieler Berger gerade gut, während der Redakteur Schwarze einwendet, daß er aber zu seinen kleinen Wagnissen sich auch nur sehr halbherzig entschlossen habe, welche wiederum eine langjährige Theatergängerin klipp und knapp „bloß langweilig“ findet.

Leinert, Jahrgang 42, war übrigens 1985 unter Wüstenhöfer schon einmal Chefdramaturg am Bremer Theater. Die künftige Bremer Intendanz könnten ihm noch drei Aspiranten streitig machen: Erstens Nicolas Brieger, langjähriger Schauspieldirektor in Mannheim, künstlerisch wohl der ergiebigste im Quartett. Brieger aber will auf keinen Fall Kürzungen im Etat hinnehmen und scheidet deshalb so gut wie aus. Zweitens Guido Huonder, gewesener Intendant zu Dortmund, der aber gleich nach der Wende nach Potsdam gegangen war, um dort mordsmäßig zu scheitern. Drittens schließlich Günther Beelitz, abgedankter Chef des Münchner Residenztheaters. Er ist der Orchideenhafteste in der Runde und, wenn er sich noch einmal bedenkt, voraussichtlich doch für Bremen zu teuer, nämlich kaum billiger als Heyme.

Umso abschließender erhebt sich die Frage, warum die Kultursenatorin Trüpel in diesem schwierigen Entscheidungsfall so sehr zur Eile drängt und weder neuerliche Bewerberrunden noch öffentliche Strukturdebatten noch sonst eine Verzögerung dulden will. Kenner spötteln schon, daß sie anders ja womöglich überhaupt nicht mehr, nämlich nicht mehr zu Lebzeiten der Ampel entscheiden dürfe.

Nach Kassel zum Nachforschen ist jedenfalls noch niemand gefahren, was selbst der dortige Schauspieler Berger „ziemlich fahrlässig“ findet. Manfred Dworschak