Als der SA-"Mordsturm" wütete

■ Während der "Köpenicker Blutwoche" wurden vor 60 Jahren Dutzende von Menschen ermordet / Ausstellung und Gedenkveranstaltungen erinnern an Opfer

Am späten Abend des 20. Juni 1933 juckte den Adjutanten der Köpenicker SA-Stürme wieder einmal das Fell. Seit den Reichstagswahlen im März hatten sie sich im Foltern von Köpenicker Antifaschisten geübt und Spaß daran gefunden. Die Mißhandlungen im SA-Lokal Demuth (in der heutigen Pohlestraße) waren so brutal und so häufig, daß die britische Tageszeitung The Times Wind davon bekam und am 1. April einen großen Bericht über die SA-Brutalitäten veröffentlichte. Die Journalisten wußten nicht, daß am Erscheinungstag reichsweit zum Boykott der „jüdischen“ Geschäfte aufgerufen wurde und daß wiederum die Köpenicker SA diesen Tag mit Prügelorgien bei Demuth feiern würde. Aber das war jetzt, am 20. Juni, schon lange vorbei. Der Abend war heiß, und ein neuer „Vergeltungsschlag“ würde die Moral und den Kampfgeist der Stürme festigen.

Blutrausch in „wilden“ Konzentrationslagern

Was anschließend folgte, ist unter dem Begriff „Köpenicker Blutwoche“ in die Geschichte eingegangen. Innerhalb weniger Tage wurden über 500 Menschen in diesem Arbeiterbezirk verschleppt, mindestens 28 ermordet, von 70 Menschen weiß man bis heute nicht, wo sie geblieben sind, und Unzählige blieben ihr Leben lang Invaliden. Die Opfer waren Sozialdemokraten, Kommunisten, aber auch Parteilose, Männer und Frauen. Vermutlich war das Köpenicker Blutbad die brutalste SA-Aktion in der Frühphase des Dritten Reiches. Jetzt, zum 60. Jahrestag der Ereignisse, hat das Bezirksamt zusammen mit dem „Bund der Köpenicker Antifaschisten“ und dem „Verein der Verfolgten und Hinterbliebenen“ eine Reihe von Gedenkveranstaltungen organisiert. Eröffnet wurden sie gestern abend im ehemaligen Amtsgerichtsgefängnis, der heutigen Gedenkstätte, in der Puchanstraße 12. Eine neue Dauerausstellung zur Köpenicker Blutwoche wurde in der Gedenkstätte schon Anfang Juni eröffnet.

Eingeleitet wurde die „Aktion“ durch die Besprechung der Köpenicker SA-Führer in der Nacht zum 21. Juni 1933. 15 Stürme kamen, sogar der Spielmannszug. Verstärkt wurde die Bande durch den sogenannten „Mordsturm“ 33, den Majakowski-Sturm aus Charlottenburg. Die Instruktionen für die kommende Terrorwelle verteilte der Führer der Aktion, der Leiter der Köpenicker SA-Standarte 15, Sturmführer Herbert Gehrke. Zur Belohnung wurde er anschließend zum Obersturmbannführer befördert und ein Jahr später gar zum Standartenführer. Man beschloß in dieser Nacht, eine Reihe unliebsamer Personen zu verhaften, als Vorwand sollte die Sicherstellung von Reichsbanner- Fahnen, Bildern von Arbeiterführern und verbotenen Büchern dienen. Schon Tage zuvor waren Folterwerkzeuge in vier verschiedene SA-Lokale sowie in das Amtsgerichtsgefängnis gebracht worden. Auch Wäscherei-Fahrzeuge, um die Verhafteten unauffällig wegzubringen, standen bereit.

Vom frühen Morgen des 21. Juni bis in die späte Nacht des 24. Juni verhafteten die SA-Leute Hunderte von Menschen. In den zu Folterkammern umgerüsteten „Vernehmungszimmern“ der SA- Lokale erlitten sie grausamste Folterverhöre. Die SAler schlugen mit Gartenstühlen, Gummiknüppeln, Stahlruten und alten Kavalleriesäbeln auf ihre Opfer ein. Von den Schlägen lösten sich Haut und Knochen am Körper ab, die Opfer bekamen Teer und Salz in die Wunden gestreut, mußten Kot und Gift essen, manchen wurden Hoden und Ohren abgeschnitten, Schwefelsäure in die Harnröhre injiziert. Der Betsaal des Amtsgerichtsgefängnisses, in der sich heute die Gedenkstätte befindet, glich, wie die Prozeßprotokolle aus dem Jahre 1950 festhielten, einer „Metzgerei“. 35 Arbeiter „schwammen dort in ihrem Blut“, so ein Augenzeuge. „Man riß ihnen die Kleider herunter. Die SA trampelte mit ihren Stiefeln auf ihnen herum. Blut- und Fleischstücke wurden zusammengefegt und mit Eimern herausgetragen.“ Unter den Toten befand sich der ehemalige SPD-Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin, Johannes Stelling, der Gewerkschaftsführer und Funktionär des Reichsbanners, Paul von Essen (SPD).

Der Hauptschuldige entkam seinen Richtern

Ihre Leichen wurden zerstückelt, in Säcke eingenäht und in der Dahme, einem Spreearm, versenkt. Die Köpenicker SA-Mörder mußten sich, soweit sie später in der DDR lebten, im Juli 1950 vor dem Landgericht Berlin verantworten. 15 der Hauptverantwortlichen wurden zum Tode verurteilt, 13 erhielten lebenslängliche Zuchthausstrafen. Der Hauptverantwortliche, Sturmbannführer Gehrke, ist seit 1945 spurlos verschwunden. Ein Kassationsverfahren, das die Enkelin eines der Verhafteten, sein Name lautete Otto Busdorf, im vergangenen Jahr vor dem Kammergericht anstrengte, blieb erfolglos. Nach ausführlichen Recherchen stellte der Staatsanwalt fest, daß Otto Bunsdorf zu Recht verhaftet worden war. Anita Kugler

Ausstellung zur Köpenicker Blutwoche in der Gedenkstätte Puchanstraße 12. Mo. 10–16 Uhr. Di.–Do. 10–18 Uhr. Fr. 10–14 Uhr. Führungen unter Tel. 657 14 67.

Ehrungen für die Opfer sollen an verschiedenen Orten abgehalten werden: heute, 18 Uhr, am Gedenkstein Unter den Birken am ehemaligen „SA-Sturmlokal“ Seidler Uhlenhorst, am Mittwoch, 15 Uhr, in der Assmannstraße 46 sowie am gleichen Tag um 18 Uhr an der Wendenschloßstraße 390 im ehemaligen Wassersportheim des Reichsbanners.

Im Spoless-Verlag erscheint in Kürze ein Buch mit dem Titel „Tatort Köpenick“.