■ Brandstiftungen und Morde
: Im Zorn präzis bleiben

Wie wenig sich Berlin auf Weltoffenheit und Menschlichkeit einzubilden braucht, beweist der unfaßbare Vorgang auf dem Kurfürstendamm. Diese brutale Verrohung, die quer durch alle Schichten aus den Menschen herausbrach und zu einer Pogromstimmung aufloderte, macht sprachlos. Jede Frage nach den sozialen Hintergründen einer solchen menschlichen Kälte müßte wirken, als wolle man dieses Verhalten entschuldigen. Wenn es in Berlin noch nicht zu Brandanschlägen gegen Ausländer gekommen ist, bei denen Menschen getötet wurden, dann liegt das jedenfalls nicht am Fehlen eines enthemmten Pöbels, lernen wir aus dem gestrigen Aufruhr – die Stadt hat wohl nur auf eine makabre Weise „Glück“ gehabt. Nach dem Coming-out der Straße mag dies wie eine Nebensächlichkeit wirken, wie eine vernachlässigbare Differenz zwischen Wort und Tat – wichtig bleibt es dennoch, sich dies zu vergegenwärtigen. Dies gilt auch für den Brand in der Kreuzberger Blücherstraße, bei dem eine junge Frau und ihr Kind getötet wurden. Alles, so sagt die Polizei, weist darauf hin, daß es sich nur um eine „normale“ Brandstiftung handelt, wie sie dutzende Male im Monat passiert, nicht um eine rassistische Tat. Präzis zu bleiben und nicht den verständlichen Emotionen zu folgen, ist auch unabdingbar, weil sich die türkischen BerlinerInnen nach den Morden von Solingen zu Recht bedroht fühlen. Die Erklärung des sonst so besonnenen Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde, Mustafa Cakmakoglu, der den Brand schon zweifelsfrei als rassistische Tat bewertet, ist deswegen fahrlässig. Die Ausländerfeindlichkeit – so beweist die gestrige Lynchstimmung auf dem Ku'damm – ist schon schlimm genug; es bedarf nicht der unverantwortlichen Spekulation. Gerd Nowakowski

Siehe auch Bericht Seite 22