Champagner auf Gottes Glatze

Michael Jordans Chicago Bulls gewinnen zum dritten Mal die NBA-Meisterschaft  ■ Von Andrea Böhm

Washington (taz) – Der liebe Gott muß geschlafen haben. Vielleicht mag er auch kein Basketball. Oder er kann es nicht leiden, wenn Erdenbürger in seinem Namen Versprechungen machen, von denen er selbst nichts weiß. Jedem, der es hören wollte, hatte Charles Barkley, Superstar der Phoenix Suns und Enfant terrible der US- Profiliga NBA, in den letzten Tagen erzählt, daß göttlicher Wille sein Team zum Gewinn des Meistertitels treiben werde. Doch Sonntag, kurz nach 22 Uhr, verschwand Barkley mit hängendem Kopf und in seinem christlichen Glauben tief erschüttert in der Umkleidekabine und ward nicht mehr gesehen. Vier Sekunden vor Schluß hatten die Phoenix Suns im sechsten Finalspiel einen Drei- Punkte-Korb einstecken müssen. Damit hatten die Chicago Bulls nicht nur ein denkbar knappes Endergebnis von 99:98 zu ihren Gunsten hergestellt, sondern wie schon 1991 und 1992 den Meistertitel gewonnen. Dieser Hattrick war seit 27 Jahren keinem Team mehr gelungen. Während sich Barkley nur Wasser aus der Dusche über das kahlgeschorene Haupt schütten durfte, ließ sich der wirkliche Gott des Basketball, Michael Jordan, die Glatze mit Champagner benetzen.

Die Bulls hätten es einfacher haben können. Meister wird, wer als erster vier Spiele gewonnen hat. Die ersten beiden Begegnungen in Phoenix hatten sie überraschend einfach gewonnen. Die nächsten drei Runden waren in Chicago angesetzt, und kaum jemand bezweifelte, daß die Mannschaft um Michael Jordan und Scottie Pippin vor heimischen Publikum den Triumph komplett machen würde. Das dritte Spiel ging an die „Suns“, doch im vierten bauten die „Bulls“ ihren Vorsprung zu einer 3:1 Führung aus und versetzten die Fans in ihrer Heimatstadt in einen vorweggenommenen Siegestaumel und andere in Angst und Schrecken. Für die fünfte Begegnung am letzten Freitag im „Chicago Stadium“ hatten die Geschäftsleute in der Innenstadt bereits ihre Schaufenster mit Sperrholzplatten vernagelt und die Stadtverwaltung 7.000 Polizisten zur Sonderschicht bestellt. Der Meistersieg vom letzten Jahr, als der Jubel der Bulls-Anhänger in eine Krawallnacht mündete, war noch in schlechtester Erinnerung. Im Verlauf dieser Nacht wurden 330 Geschäfte geplündert und über 1.000 Menschen festgenommen. Der Sachschaden belief sich auf über zehn Millionen Dollar.

Ausschreitungen nach Sportveranstaltungen sind inzwischen längst kein europäisches Phänomen mehr. Zu Krawallen kam es dieses Jahr sowohl in Dallas, nachdem das heimische Football- Team, die Cowboys, den Super- Bowl gewonnen hatte, als auch in Montreal nach dem Sieg der Canadiens im Finale der nordamerikanischen Eishockey-Liga.

Doch die Suns machten ihrem Namen alle Ehre und stiegen wie Phönix aus der Asche zu einem 108:98-Sieg mit Glanzvorstellungen von Charles Barkley, Kevin Johnson und Dan Majerle. Nicht nur Chicagos Geschäftswelt konnte aufatmen, auch in der Chefetage des Fernsehsenders NBC rieb man sich die Hände. Schließlich hatte man die Übertragungsrechte für sieben Spiele eingekauft und entsprechende Werbeeinnahmen einkalkuliert.

Doch was sich die Suns auf eigenem Platz als triumphalen Endspurt zum Meistertitel ausgemalt hatten, verhinderten am Sonntag abend vor allem drei Spieler: Michael Jordan, der in der ganzen Finalserie mit Ausnahme des dritten Spiels von niemandem zu stoppen war, Scottie Pippen sowie Drei-Punkte-Spezialist John Paxson. Jordan verbuchte 33 Punkte, Pippen 23 und Paxson landete den entscheidenden Siegtreffer wenige Sekunden vor Spielende. Bei den Suns erzielten Barkley und Majerle je 21 Punkte, doch insgesamt erwies sich die Mannschaft als zu nervös, produzierte zu viele Fehlwürfe und war am Ende des letzten Viertels nicht in der Lage, einen Fünf-Punkte-Vorsprung über die Zeit zu retten.

Dabei war die Hoffnung der Suns auf göttlichen Beistand gar nicht so unberechtigt, schließlich haben sie den bibelfestesten Trainer in der ganzen Liga. Paul Westphal ist ein Musterbeispiel des religiösen Konservatismus der USA, während sein Gegenpart, Bulls- Coach Phil Jackson, über seine Drogenerfahrungen plaudert und seinen Spielern als Lesestoff statt der Bibel lieber „Zen oder die Kunst, ein Motorrad zu warten“ verordnet. In diesem Fall siegte der Alt-68er über den Jung-Konservativen, doch das Trainerduell trat im Medienrummel über die NBA-Finals eindeutig hinter den Zweikampf der beiden Starspieler zurück: Michael „Air“ Jordan gegen „Sir Charles“ Barkley.

Nun würde niemand ernsthaft bezweifeln, daß Michael Jordan mit seiner Sprungkraft und oft akrobatischen Treffsicherheit der eindeutig bessere Basketballer ist. Barkley profitiert in erster Linie von einer Spielweise, die man euphemistisch als körperbetont bezeichnen könnte: Die Kombination aus Beschleunigung und seiner imposanten Körpermasse räumt meist alle Hindernisse auf dem Weg zum Korb beiseite. Er trägt nicht umsonst wie ein Boxer einen Gebißschutz.

Nur geht es im Showdown der beiden, die privat übrigens gut befreundet sind, längst nicht mehr nur um spielerisches Können. Ihre Figuren sind zu öffentlichen Projektionsflächen geworden, deren Dimensionen schon fast an einen Präsidentschaftswahlkampf erinnerten. Nur kommunizieren die beiden nicht durch Interviews und Wahlkampfreden mit dem Volk, sondern durch Interviews und Werbespots. Jordan, der unantastbare Superspieler, trivialisiert sich schon fast selbst, wenn er für irgendwelche Frühstück-Flakes Werbung macht. Sein Image ist so makellos, daß es um so leichter angekratzt werden kann – in diesem Fall durch den Umstand, daß er beim Golfspiel angeblich über eine Million Dollar verloren haben soll.

Auf der anderen Seite Barkley, der Choleriker mit einem medienwirksamen Hang zu Jähzorn, obszönen Flüchen und Größenwahn, der letztes Jahr seine Autobiographie herausgebracht hat. Seine Sportschuh-Commercials sind entweder im Stil der Commedia dell' arte als Spektakel inszeniert oder sie greifen in typisch amerikanische Reizthemen wie „family values“ auf. „Ich bin kein Vorbild“, poltert er in seinem jüngsten Spot und fordert gleichzeitig alle Eltern auf, ihre Kinder anständig zu erziehen. Dieser Auftritt wurde prompt zum Thema in der Tagespresse und den US-Sportzeitschriften. In Amerikas Kneipen, High- Schools und Wohnzimmern dürfte er für mehr Diskussionsstoff gesorgt haben als jede Pressekonferenz des Präsidenten zu Steuer oder Somalia.

So mag „Sir Charles“ zwar auf dem Court gegen Michael Jordan verloren haben, doch außerhalb des Platzes hat er eindeutig die bessere Show geliefert. Er ist eben sehr viel irdischer als der Gott auf dem Basketball-Court.