Die Villa des Präsidentenschwagers

In den nördlichen Savannenstädten von Nigeria stieß die Präsidentschaftswahl auf wenig Interesse — das Establishment hat alles fest im Griff / Feudalismus, vom Ölboom genährt  ■ Aus Kano Bettina Gaus

Der Emir von Kano gewährt Audienz. Auf einem Rappen mit silbergeschmücktem Zaumzeug reitet er langsam aus dem Tor eines Innenhofes seines weitläufigen Palastes. Halb verschleiert ist sein Gesicht. Keine Regung läßt er erkennen, als sich Männer mit riesigen bunten Turbanen und farbenprächtigen, locker geschnittenen Gewändern ehrerbietig vor ihm neigen und Sänger des Hofstaats in Liedern seinen Ruhm verkünden. Der traditionelle weltliche und geistliche Herrscher der nordnigerianischen Stadt nimmt die Huldigungen seiner Untertanen ausdruckslos entgegen, wie es das höfische Protokoll seit vielen hundert Jahren gebietet.

Wortlos steigt der Emir vom Pferd und begibt sich in einen großen Empfangssaal des aus Lehm erbauten, zinnengeschmückten Palastes. Die Würdenträger, die ihn umgeben, küssen den Boden, wenn sie den Raum betreten. Solange der Emir im prächtigen cremefarbenen Spitzenumhang auf einem Ruhebett dort verweilt, müssen sie, knieend oder sitzend, in gebückter Haltung verharren.

Kleine Einzelheiten passen nicht zu dem Bild aus Tausendundeiner Nacht: Der elegante schwarze Aktenkoffer mit goldenem Zahlenschloß in der Hand eines Untertanen. Das Fernsehteam, das das höfische Zeremoniell für die Abendnachrichten filmt. Der weiße Mercedes 500 SE und der rote Jaguar, die im Palasthof parken – Eigentum von ortsansässigen Geschäftsleuten, die an diesem Vormittag dem Emir ihre Referenz erweisen.

Die prächtig gekleideten Höflinge sind im bürgerlichen Leben Banker, Versicherungsbeamte und Millionäre, die am Ölboom der 70er Jahre reich geworden sind. Der Emir selbst war Diplomat, bevor er die Nachfolge seines Vaters antrat. In der Verfassung Nigerias ist für die traditionellen Herrscher keine Rolle mehr vorgesehen. Aber sie werden aus dem Staatssäckel alimentiert – und der Respekt, den sie bei vielen Bürgern genießen, ist unverändert groß. „Der ganze moderne Lebensstil ist uns immer noch fremd“, meint die Angestellte Amina Abubakor. „Wir fühlen uns mit der Moderne immer noch nicht wohl. Die Rückbesinnung auf die Tradition hat etwas Tröstliches.“

Vor rund tausend Jahren haben die ersten Menschen dort gesiedelt, wo heute Kano liegt. Fast ebenso lange ist die Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates, die noch immer eine Schlüsselrolle im politischen Leben Nigerias einnimmt, Sitz mächtiger islamischer Herrscherhäuser gewesen. Aber das Nebeneinander von Tradition und Moderne ist nicht unumstritten: „Ich habe keinerlei Achtung vor dem Emir oder irgendeinem anderen traditionellen Herrscher“, betont der Fernsehjournalist Abba Gwarzo. „Ich halte die Rolle für unzeitgemäß.“

Der Vater des 34jährigen Gwarzo war dem Hof zu seinen Lebzeiten eng verbunden gewesen: „Ich habe als Kind alle Untaten dieser traditionellen Herrscher mit angesehen. Sie haben Kleinbauern die Ernte abgenommen und bei ihren Reisen durchs Land Geldspenden aus den Armen herausgepreßt.“ Heute, so sagt Abba Gwarzo, bedienten sich Politiker der Emire, um ihre Interessen in jenen Kreisen der Bevölkerung durchzusetzen, die noch an die alten Werte glaubten.

Seit der Unabhängigkeit 1960 war der Norden Nigerias die Region, die den größten politischen Einfluß auf die Entwicklung des gesamten Bundesstaates genommen hat – obwohl dort keine Ölquellen sprudeln und die wirtschaftliche Macht im Süden liegt. Aus Angst vor Unterdrückung durch die als geschäftstüchtig geltenden Yoruba im Südwesten gingen die christlichen Ibo im Südosten und viele Minderheitsvölker der insgesamt mehr als 400 Ethnien Nigerias ein Zweckbündnis mit den traditionellen Herrschern der Haussa-Fulani im Norden ein.

Aber nur einige wenige haben von der politischen Macht profitiert. Der Norden Nigerias hat noch immer weniger gut ausgebildete Fachkräfte als der Süden, mehr Analphabeten und eine schlechtere Infrastruktur.

In Kaduna, der Hauptstadt eines anderen nördlichen Bundesstaates, liegt direkt neben dem örtlichen Krankenhaus eine prächtige Luxusvilla, gebaut in der Form eines Schiffes. „Sämtliche Apparate im Krankenhaus sind veraltet, und es gibt so gut wie keine Medikamente. Das Haus da gehört dem Schwager von Staatschef Babangida“, erklärt ein Arzt bitter. „Der Mann hat nicht einmal einen richtigen Beruf gelernt. Noch Fragen zum Thema Korruption und Bereicherung?“

Die Machthaber scheinen Widerstand und Zorn der Bevölkerung im Süden weit mehr zu fürchten als Unmut im Norden. Benzin ist seit Wochen knapp in dem Land, das noch immer der fünftgrößte Erdölexporteur der Welt ist. Ein Hauptgrund: Schmuggel über die Landesgrenzen in großem Stil. In Nigeria wird Benzin staatlich subventioniert, der Liter kostet nur umgerechnet 13 Pfennige. In den Nachbarländern ist ein Vielfaches zu verdienen. So wird ein großer Teil der Menge, die eigentlich für die nigerianische Bevölkerung bestimmt ist, abgezweigt – wohl kaum ohne Wissen der Machthaber: Die Schlangen der Tanklastwagen, die sich vor den Grenzübergängen stauen, sind bis zu zehn Kilometer lang. Und es gibt im ganzen Land nur rund ein Dutzend Fuhrunternehmen, die überhaupt die Kapazitäten für Benzintransporte in größeren Mengen haben. An acht davon sind Regierungsmitglieder Teilhaber. In Lagos, dem ökonomischen Zentrum des Südens, dauert der akute Benzinmangel kaum je länger als ein paar Tage – und schon dann machen Gerüchte von sozialen Unruhen die Runde.

„In Kaduna gibt es seit sechs Monaten kaum Benzin“, erzählt ein Taxifahrer. Die Schlangen vor den Tankstellen sind kilometerlang. Autofahrer verbringen ganze Nächte in ihren Fahrzeugen, stets auf den Benzinlaster hoffend, der ihnen wenigstens ein paar Liter beschert. „Die Leute sind unglaublich wütend“, meint der Fahrer. Zu bemerken ist davon nichts: Ruhig und diszipliniert warten die Männer und Frauen in ihren Autos, es wird nicht gehupt, nicht gestritten, nicht geschrieen.

„Der Feudalismus im Norden hat zu einer solchen Demutshaltung in der Bevölkerung geführt, daß es für Politiker reicht, wenn sie Bettlern ein paar Naira geben. Sie müssen nicht der ganzen Region Wohlstand bringen“, meint John Adeleke, ein Geschäftsmann in Lagos. Unter der Oberfläche jedoch gärt es. Die Regierung hat ihre Gefolgschaft auch im Norden verloren.

Aber es ist ein stummer Protest: Am Tag der Präsidentschaftswahlen bilden sich vor den Wahllokalen im Süden lange Schlangen – im Norden ist die Wahlbeteiligung verschwindend gering.

Im Haus des Elektroingenieurs Bashir Usman in Kaduna treffen sich an diesem Tag etwa ein Dutzend Freunde zur geselligen Runde – nur ein einziger der Männer hat gewählt. „Wir haben vorher gar nicht darüber gesprochen“, meint Bashir Usman, „uns war sowieso klar, daß wir mit unserer Stimme nichts entscheiden. Die Regierung hat schon vor den Wahlen beschlossen, was danach kommt.“

Die Ereignisse scheinen ihm recht zu geben: Obwohl mit dem Sozialdemokraten Moshood Abiola und dem Konservativen Bashir Tofa ohnehin nur zwei enge Freunde von Staatschef Ibrahim Babangida zur Wahl zugelassen worden waren, sieht es jetzt so aus, als seien Wahlen annulliert worden. Eine von der Regierung bereits im April per Dekret gesetzte Frist, wonach die Nationale Wahlkommission nach dem Urnengang zehn Tage Zeit habe, um ein amtliches Wahlergebnis zu verkünden, verstrich in der Nacht zum Montag — ergebnislos.

Nun wachsen die Befürchtungen, daß das Militärregime nun doch nicht zum versprochenen Abschied von der Macht bereit sein dürfte. Oder hat der falsche Mann gewonnen? Inoffiziellen Auszählungen zufolge ist Abiola der klare Sieger – manche Beobachter aber glauben, daß die Regierung auf Tofa gesetzt hatte.

Bashir Usman und seinen Freunden bedeutet dieses Tauziehen hinter den Kulissen wenig: „Die einzige Lösung für die Krise des Landes wäre ein Krieg gegen die Korruption. Jeder, der damit anfangen würde, hätte das ganze Land hinter sich. Aber Abiola und Tofa müßten sich ja dann selber den Krieg erklären“, sagt der Elektroingenieur.

Die Runde ist sich einig: Nur ein „ehrlicher Führer“ kann das Land retten. Woher soll der kommen? Ratloses Schulterzucken. Von Institutionenbildung, Gewaltenteilung, Kontrolle der Regierung oder strukturellen Reformen im föderalen Bundesstaat wird nicht gesprochen. „Wir unterschätzen die Fügsamkeit der Nigerianer. Nigerianer sind sehr leicht zu regieren“, erklärt Mahmud Tukur. Er weiß, wovon er spricht: Von 1983 bis 1985 war er Nigerias Handelsminister.

Wut hat sich in der Vergangenheit vor allem gegenüber jenen Luft gemacht, denen man sich überlegen glaubte: Zu blutigen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Ethnien, vor allem aber zwischen Moslems und der christlichen Minderheit ist es in den letzten Jahren mehrfach in verschiedenen Gegenden des Nordens gekommen – die Konflikte forderten Tausende von Todesopfern.

„Die Situation ist explosiv“, meint der Journalist Ali Cawal Umar. „Wenn die Wirtschaftskrise anhält, dann kann alles jederzeit passieren. Dann reicht ein Streit zwischen zwei Leuten, um schwere Unruhen auszulösen.“ Grund für tiefe Verbitterung haben viele Nigerianer: Die während des Ölbooms reiche Mittelschicht ist verarmt. Eine Sekretärin verdient heute umgerechnet etwa hundert Mark, ein Universitätsprofessor rund das Doppelte.

Die Landwirtschaft, einst Rückgrat der Wirtschaft, ist während der fetten Jahre vernachlässigt worden. Neben der aufwendig gebauten Autobahn von Kaduna nach Kano arbeiten Bauern wie eh und je mit Hacke und Spaten, ohne jegliche moderne Hilfsmittel.

Die Erdnußpyramiden, früher eines der Wahrzeichen Kanos, sind aus dem Stadtbild verschwunden. Die Nation, die 1960 ein Drittel des Welthandels mit Erdnüssen kontrollierte, muß das Produkt heute importieren. „Ich wünschte, es hätte den Ölboom nie gegeben. Es ist ein Fluch, kein Segen, denn er hat die ganze Initiative unsere Volkes erlahmen lassen“, seufzt der Betriebsarzt der Erdölraffinerie in Kaduna. Und dann meint er: „Unsere einzige Hoffnung ist, daß nach dem Abgang der Militärs eine wirkliche Führungspersönlichkeit auftaucht.“