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Natur ist so selten wie Wahrheit

■ Stern über Ökologie und seinen neuen Roman

taz: Herr Stern, unlängst soll eine Bibliothekarin in Amberg aus der Oberpfalz Sie nach einer Lesung mit „Herr Klint“ angeredet haben. Sie reagieren empfindlich auf diese Gleichsetzung mit Ihrem tragischen Romanhelden?

Horst Stern: Dieser Freudsche Lapsus linguae ließ mich endgültig vor diesen mir allmählich schier die Haut abziehenden Journalisten- und Publikumsfragen kapitulieren.

Heißt das, daß unter Ihrer Haut nun doch langsam eben jener Klint zum Vorschein kommt, der, wie es in Ihrem Buch heißt, an seiner Leidenschaft für das kreatürliche Leben zugrunde geht?

Also, ich lebe ja noch.

Aber nur noch nach innen? Die „Stuttgarter Nachrichten“ jedenfalls schlagzeilten, Sie hätten gesagt: „Bald gehe ich ganz zu – wie eine Muschel“.

Das bezog sich auf meine zu Ende gehende Bereitschaft, mich auf solche Fragen noch einzulassen. Und was die Muschel betrifft: Auch sie kommuniziert mit der Außenwelt, indem sie aus dem Wasser Sauerstoff und Feinorganismen aufnimmt.

... und wird davon, wenn das Wasser vergiftet ist, krank. Ist das Wasser in Ihrer Wahlheimat Irland sauberer als das deutsche?

Man kann der globalen Umweltvergiftung nicht ausweichen. Letzten Sommer wurde im Südwesten Irlands, wo ich lebe und wo große Miesmuschelzuchten die Buchten der Bantry-Bay und des Kenmare River mit ihren leuchtend blau angemalten Ankerfässern verunzieren, vor dem Verzehr von Muschelfleisch öffentlich gewarnt.

Was verstehen Sie unter „kreatürlichem Leben“?

Kreatürliches Leben ist für mich naturnahes Leben. Ich sage ausdrücklich nicht: natürliches Leben, denn Natur pur, Natura naturata, ist bei uns so selten geworden wie die Wahrheit in der derzeitigen Politik. Es gibt, zumindest bei uns, kaum noch einen Quadratmeter Boden, der nicht die Spuren menschlichen Wirtschaftens oder menschlichen Eindringens aufweist. Fast alle Naturschutzgebiete sind manipuliert, das heißt, gutmeinter Pflege oder verzweifelten Renaturierungsversuchen unterworfen. Und meist sind sie auch noch einer lügenhaften Nutzung ausgesetzt – lügenhaft deswegen, weil Jagd, Fischerei und Landwirtschaft schon von Gesetzes wegen als naturkonform gelten, was sie jedoch selten sind. Die Klausel im Bundesnaturschutzgesetz, die jede „ordnungsgemäße Landwirtschaft“, selbst die industrielle, als naturunschädlich definiert, ist die größte Gesetzeslüge, die ich kenne. Aber sie ist augenscheinlich nicht abzuschaffen, Herr Töpfer ist mein Zeuge. Gegen eine mit Traktoren demonstrierende Bauernlobby ist in konservativen Zeiten kein politisches Kraut gewachsen.

Also keinerlei Fortschritte in der Naturbewahrung?

Na ja, es gibt sie im technischen Bereich, etwa bei der Luftreinhaltung, im Gewässerschutz und dergleichen. Die Zerstörung dessen aber, was man mit dem Wort Natur anspricht, geht fast ungebremst weiter. Es war dieser Gesellschaft ohnehin niemals wirklich ernst mit dem Naturschutz. Man trug ihn nie im Herzen, immer nur – politisch opportun – auf den Lippen. Der Beweis ist jetzt in Ostdeutschland zu besichtigen: In den Naturreservaten zwischen Elbe und Oder fechten die Naturschützer die gleichen Kämpfe aus, wie ich sie schon vor zwanzig Jahren hier bei uns geführt habe. Des Bundeskanzlers Ex-Liebling, dieser unsägliche Herr Krause, tobte sich dort, gebremst durch wenig mehr als seine Putzfrau, mit Erschließungsplänen aus. Und er war nicht der einzige: Auf vielen Grenzpfählen, die der Natur- und Landschaftsschutz mühsam genug gleich nach der Wende einschlug, hocken heute – man ist versucht zu sagen: geiergleich – westdeutsche Geschäftemacher, denen zu Hause die Natur längst ausgegangen ist, und spähen nach neuer Beute: Freizeitsiedlungen, Vergnügungsparks, Hotelanlagen, Feriendörfer und Golfplätze gleich im Dutzend – der ganze Rummel, wie hier gehabt.

Woran aber, wenn es Natur, kreatürliches Leben im strengen Wortsinn nicht mehr gibt und es damit eigentlich auch keine Zerstörung von wirklicher Natur mehr geben kann, woran ist dann der Held ihres Roman, Klint, zugrunde gegangen?

Klint litt und starb an der Zerstörung des längst Zerstörten, an Surrogaten, Natur aus zweiter Hand. Er war ein Don Quichote, sein Kampf mit den journalistischen Mitteln der Aufklärung war ein Kampf gegen Windmühlenflügel, zwischen denen er immer wieder ins Leere traf. Er war gegen Ende seines Lebens, als er aufhörte zu schreiben, in seinen Berufskreisen zum großen Kopfschütteln geworden, wie es im Buch heißt, eine Figur des kollegialen Achselzuckens.

Wie Horst Stern?

Wieso, ich schreibe ja noch ...

Literatur. „Nur“ Literatur möchte ich nicht sagen ...

Danke.

Aber journalistisch? Seit 1986, dem Jahr von Tschernobyl, haben Sie, genau wie Klint, fast nichts Journalistisches mehr geschrieben?

Sie bringen mich noch dazu, daß ich, ganz gegen meine Absicht, den journalistischen Griffel wieder spitze, nur um zu beweisen, daß ich nicht Klint bin. Das Gespräch führte Sabine Paul

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