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Armuts-Debatte: Statistik statt Perspektive

■ Bürgerschaft diskutierte über Verteilungskämpfe / Nicht mal Versprechungen gab's

Sie waren nicht da. Hamburgs Arme. Aber geredet wurde über sie, gestern in der Bürgerschaft. Sie haben nichts verpaßt, jedenfalls nicht, was ihnen geholfen hätte in ihrer Not. Es gab noch nicht einmal Versprechungen, wie sie sonst üblich sind in Wahlkampfzeiten.

Statt dessen übten sich Hamburgs Politiker in gegenseitigen Schuldzuweisungen, wer verantwortlich sei für diese Armut. Keine Perspektive. Die Botschaft an jene, die nicht gekommen waren.

Nicht vom SPD-Senat, dessen Sozialsenator Ortwin Runde zwar eine Entscheidung anmahnte zwischen der Konflikt-Gesellschaft mit immer aggressiveren Verteilungskämpfen und dem Sozialstaat. Ein Hinweis darauf, welchen Beitrag Hamburg dazu leisten wolle, den gab der Sozialsenator jedoch nicht; da mußte dann schon die statistische Erfassung der Armut als Beweis für die Handlungsfähigkeit der SPD-Regierung dienen. Statistik statt Perspektive. Auch nicht von der SPD-Fraktion, deren Vorsitzender Günter Elste die Debatte zur Attacke auf die Bonner, auf die Hamburger und auf die CDU-Politik insgesamt nutzte und deren Sozialpolitischer Sprecher Jan Ehlers für den nötigen theoretischen Überbau sorgte. Das marktwirtschaftiche System produziere nun mal keine Gerechtigkeit, dazu bedürfe es politischer Steuerung, und die habe die CDU/FDP-Bundesregierung seit zehn Jahren vernachlässigt. Gut gebrüllt Löwe.

„Die haben zugesehen, wie die sozialen Probleme in Hamburg immer größer werden.“ CDU-Sozialpoltikerin Birgit Schnieber-Jastram mühte sich fast verzweilfelt, das von der Union auf die Tagesordnung gesetzte Thema auch zu einem Wahlkampferfolg für ihre Partei zu machen. Sie forderte ein Programm für Kinder, eins für alte Menschen, eins für eine bürgerfreundlichere Verwaltung und dazu auch noch Menschen, die helfen. Wie man das anstellen soll, wie man dem geplanten Sozialabbau ihrer Bonner Parteifreunde begegnen soll, konnte auch sie nicht sagen. Wie auch, die Zeiten sind nicht so. Die, die nicht da waren, wissen das. Deshalb werden viele von ihnen auch nicht wählen.

Sie waren auch nicht da, Hamburgs Drogenabhängige. Eine Etage tiefer auf der Armutsskala. Erst hier, ganz unten, wenn nichts mehr geht, wenn Politiker, wie FDP-Bodeit zugeben müssen „wir haben versagt“, erst hier bewegt sich etwas. FDP, SPD und GAL sprachen sich einmütig für den Modellversuch „begrenzte Heroinabgabe an Abhängige“ aus. Bloß CDU-Sprecher Carsten Kampf mühte sich auf längst brachen Feldern ab. „Ein Täuschungsmanöver“, das den Abhängigen nicht helfe. Kampfs Partei ist noch nicht soweit. Aber sie entscheidet in Bonn. Deshalb wird das positive Debatten-Beispiel des gestriegen Abends den Betroffenen zunächst auch nicht helfen.

Uli Exner

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