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Wie in Tomsk

■ Deutsches Amt veralbert russische Neubürger / Kosten der Bürokratenpresse: 800 Mark

Wie in Tomsk

Deutsches Amt veralbert russische Neubürger / Kosten der Bürokratenposse: 800 Mark

Sascha K. und Olga W. sind Kummer mit der Bürokratie gewöhnt. Was haben sie sich schon die Beine in den Bauch gestanden. Sascha K. kommt aus Moskau und Olga W. aus Tomsk in Sibirien. Aber jetzt ist alles besser. Vor ein paar Monaten sind sie in den goldenen Westen gekommen. Olga W. als Spätaussiedlerin, Sascha K. mit dem Kontingent russischer Juden, das jedes Jahr eingelassen wird. Mittlerweile hat das blitzblanke Deutschlandbild ein paar Dellen bekommen.

Vor das Autofahren hat der Herr den Führerschein gestellt. Alles kein Problem, dachten sich Sascha K. und Olga W.: Haben wir in Russland gemacht, brauchen wir nur umzutauschen. Gesagt, getan: Am 26. März stand Olga W. vor dem Schalter. Mit Vertriebenenausweis, Personalausweis, Bescheinigung für den Sehtest, für den Erstehilfekurs, dem russischen Führerschein natürlich, einem ausgefüllten Antrag und, nicht zu vergessen, 60 deutsche Mark Gebühren. „In vier bis sechs Wochen können Sie Ihren Führerschein abholen“, sagte das die Frau hinter dem Schalter. Aber da gebe es bald ein neues Recht, fragte Olga W. besorgt. Neinnein, hat da die Frau gesagt, alles in Ordnung.

Was Olga W. ahnte, das bekam sie zwei Wochen später schriftlich: Ab 7. April sei die „14. Verordnung zur Änderung straßenver

Die deutsche Amtsstube aus der FroschperspektiveFoto: Jörg Oberheide

kehrsrechtlicher Vorschriften“ in kraft getreten, fremdländische Führerscheine werden nicht mehr so einfach eingetauscht. Da müsse Sie nochmal eine Prüfung ablegen. Kostet so tausend Mark. Moment mal, dachte da Olga W., ich hatte doch den Antrag lange vor dem neuen Gesetz abgegeben. Weit gefehlt, sagt die Behörde: Es gelte nämlich nicht das Datum des Antrages, sondern das der Aushändigung des Führerscheines. Und dann: Entscheidend wäre der Termin, an dem die Bremer Behörde entschieden hätte.

Nach dem ersten Brief ist Olga W. zur Bremer Führerscheinstelle marschiert: Das könne wohl kaum mit rechten Dingen zugehen, wo das mit den Terminen denn im Gesetz stehe. Na hier, sagte die Frau hinter dem Schalter und wedelte mit dem Gesetzesblatt. Ob sie das Gesetz bitte kopieren könne, fragte Olga W. Da lächelte die Frau nur süßsauer, das ginge nicht. Dann wolle sie die Stelle abschreiben, sagte Olga W. tapfer. Nur die Stelle, die ihr die Frau gezeigt hatte, die hatte mit den Fristen nichts zu tun. Sie hätte sich schon

gewundert, warum die in der Führerscheinstelle gefeixt hätten.

Mehrere Anwälten hätten gesagt, das sei nicht in Ordnung gewesen. Aber eine Klage kostet Geld und dauert ein Jahr und bis dahin läuft der Führerschein ab und außerdem braucht man für sowas ein widerspruchsfähiges Papier von der Fürherscheinstelle, hat deren Leiter Lehmann gesagt. Das könne dauern und koste im Übrigen auch 60 Mark.

Sascha K. ging es kaum anders. Er hatte sogar schon im Januar bei der Führerscheinstelle vorgesprochen. Er solle doch bitte in zwei Monaten wiederkommen, hatte man ihm damals gesagt. Dann hätte die Stelle noch am 31. März seinen Antrag anstandslos angenommen, nur um zwei Wochen später den bekannten Brief zu schreiben: April, April.

„In unserer Sprachschule haben viele Leute dieses Problem“, erzählt Sascha K. Und was das dollste: Diejenigen, die in Niedersachsen ihre Anträge gestellt haben, bei denen sind die Führerscheine anstandslos umgetauscht worden. Das Bremer Amt hat im

März munter Anträge und Gebühren entgegengenommen. Fragt sich bloß ob aus schierer Unkenntnis oder Dreistigkeit.

Alles falsch, findet Erika Pape- Post, Sprecherin des Innensenators. „Es ist ein Grundsatz: Es gilt immer das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde.“ Wenn das von heute auf morgen geändert werde, da könne man nichts machen. „Das Amt konnte das ja nicht wissen." Außerdem sei das ja keine Vorschrift, um die AntragstellerInnen zu ärgern, sondern „um die Allgemeinheit vor unsicheren Verkehrsteilnehmern zu schützen." Zum Beispiel vor Sacha K.: „15 Jahre unfallfrei, und das in Moskau." Warum die Aufregung, meint Frau Pape-Post, die Prüfung koste ja nur 250 Mark. Da aber irrt die Behördenvertreterin. Eine kurze Nachfrage bei einer fahrschule, und schon sind rund 800 Mark beisammen. Ein Fahrlehrer: „Es setzt doch keiner bei der Prüfung jemanden ans Steuer, der nicht wenigstens ein paar stunden hinter sich hat.

So bleibt den Neubürgern nur noch, die 800 Mark von der Sozialhilfe zusammenzukratzen. Ihre Führerscheine verlieren bald die Gültigkeit, und dann wird alles nur noch teurer. Es sei denn, die Behörde wird wider Erwarten doch noch weich. Man könnte auch sagen menschenfreundlicher. Jochen Grabler

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