Neue Neonazi-Gruppe im Visier

Brandenburg will gegen das rechtsextremistische „Förderwerk“ vorgehen / Kader haben sich offenbar schon auf das drohende Verbot eingestellt  ■ Von Severin Weiland

Am Dienstag dieser Woche ließ Brandenburgs Innenministerium die Muskeln spielen. Ein Verbot des rechtsextremistischen „Förderwerks Mitteldeutsche Jugend“ (FMJ) werde angestrebt, erklärte die Sprecherin des Ministeriums, Helga Wanke. Die Ankündigung erfolgte, nachdem das FMJ am Wochenende am Bützsee im Kreis Neuruppin eine „Sonnenwendfeier“ organisiert hatte, zu der rund 200 Neonazis aus der ganzen Bundesrepublik angereist waren.

Wankes Erklärung trifft die FMJ-Kader nicht unerwartet. Seit Wochen kursiert unter den Mitgliedern ein internes Rundschreiben mit Verhaltensregeln für den Tag X: Karteien und Mitgliederlisten, so heißt es, würden bei einem Verbot nicht vorgefunden werden, denn man habe „alles in einem gut ausgeklügelten System auf Computerdisketten gespeichert, welche für das System jedoch unauffindbar sind“. Und für den Tag danach, so werden die Aktivisten in dem Papier getröstet, „müßtet (ihr) Euch lediglich an einen anderen Namen gewöhnen und neue Mitgliedsausweise anfordern“.

Daß Brandenburg mit der Forderung nach einer Zerschlagung vorprescht, überrascht nicht. Für den Verfassungsschutz (VS) in der Landeshauptstadt Potsdam zählen das im Sommer letzten Jahres gegründete FMJ und die mit ihm personell verzahnte „Sozialrevolutionäre Arbeiterfront“ (SrA) derzeit zu den aktivsten Gruppen der Neonazi-Szene. In beiden Organisationen finden sich mehrheitlich alte Kader der im vergangenen Jahr bundesweit verbotenen „Nationalistischen Front“ (NF) um den Flügel von Andreas Pohl wieder. FMJ und SrA, die in Brandenburg nach Angaben des dortigen VS rund 50 bis 80 Mitglieder haben und sogenannte Stützpunkte in Kremmen, Luckenwalde, Schwedt, Potsdam, Hennigsdorf und Frankfurt/Oder unterhalten, pflegen regen Kontakt zu anderen neonazistischen Organisationen.

So nahmen in Frankfurt/Oder laut VS zwei FMJ-Anhänger an Wehrsportübungen des Neonazis Sven Ruda teil. Der 24jährige ehemalige NVA-Feldwebel, der sich mit der Berliner „Nationalen Alternative“ überwarf und schließlich den „Kameradschaftsbund Deutschland“ aufbaute, hatte jüngst für ein Kamerateam des ORB demonstriert, wie politische Gegner durch einen gezielten Nierenstich getötet werden können.

Zu den Freunden des FMJ zählt der in Berlin lebende Landesvorsitzende der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“, Frank Schwerdt. Über ein Treffen von FMJ-Kadern mit Schwerdt in Halberstadt im April dieses Jahres gibt das für den internen Gebrauch gedachte FMJ-Rundschreiben Aktiv Auskunft. Schwerdt war es auch, der nach dem Brandanschlag auf eine Baracke des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen in dem FMJ-Mitteilungsblatt Angriff einen antisemitischen Hetzartikel veröffentlichte. Überschrift: „Zündelten die Juden selbst?“

Auch die Telefonnummer Arnulf-Winfried Priems, des Führers der Berliner Nazi-Rocker-Truppe „Wotans Volk“ und ehemaligen Berliner Landesvorsitzenden der mittlerweile verbotenen „Deutschen Alternative“ (DA), taucht in einer der Aktiv-Ausgaben auf.

Stützpunkte auch in der neuen Hauptstadt

In Berlin zählt das FMJ rund 20 Anhänger, sogenannte Stützpunkte existieren in Hohenschönhausen und Pankow-Niederschönhausen. Führer des FMJ, das sich im Gegensatz zur Kadertruppe SrA als „Massenpartei“ versteht, war bis vor kurzem der Berliner Enno Gehrmann. Seitdem das ehemalige NF-Mitglied jedoch zur Bundeswehr ging, verlagerte sich die Leitung des FMJ ins brandenburgische Kremmen. Gehrmann, der in der zweiten Nummer der FMJ-Zeitschrift Angriff das Editorial schrieb und darin zum „Erhalt unserer Heimat, unserer Rasse, unseres Volkes“ aufruft, ist den Justizbehörden wohlbekannt. Gegen ihn erhob die Staatsanwaltschaft Potsdam im März dieses Jahres Anklage wegen Raubes, gefährlicher Körperverletzung, Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener beim Jugendschöffengericht in Zehdenick. Die Hauptverhandlung steht noch aus und ist frühestens im Juli zu erwarten.

Hintergrund für die Anklage ist der Angriff von NF-Aktivisten auf einen Westberliner Arzt und dessen Frau auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück im Sommer 1991. Dabei konnte das Ehepaar sich die Nummer des Kleinlasters merken, mit dem die NF-Aktivisten flohen – es war der Wagen von Gehrmann.

Geschickt versucht das FMJ, seinen Ruf als Nachfolgeorganisation der NF in der Öffentlichkeit abzustreifen. Man habe gelernt umzudenken, alte NF-Kader seien entfernt worden, schrieb etwa ein FMJ-Stützpunktleiter aus Hennigsdorf an die Redaktion des Oranienburger Generalanzeigers, nachdem dort über eine Postwurfaktion der Neonazis berichtet worden war. Jörg Milbradt, Leiter der Auswertung beim Brandenburger VS, hält solche Schreiben für „Tarnmanöver“. Von einer Abspaltung einzelner FMJ-Mitglieder könne „keine Rede sein“. Tatsächlich wird in einer der Ausgaben von Aktiv die Aktion der „Kameraden des FMJ-Stützpunktes Hennigsdorf“, die im April 9.500 Exemplare ihres Hennigsdorfer Beobachters in die örtlichen Briefkästen verteilten, lautstark bejubelt: „Ob auf Gewerkschafts- und Parteiversammlungen oder beim Tratsch mit dem Nachbarn im Garten, überall wurde über die von uns angesprochenen Themen geredet.“