Somnamboulevard – Eschatola, Eschatolo Von Micky Remann

Dieser Missionar, dessen Bruder auf der Hauswand als Förster porträtiert war, kam nun mit seinen Bekehrungsversuchen in Melanesien nicht recht vom Fleck und räumte das auch in einer dienstlichen Flaschenpost an den vorgesetzten Landesbischof offen ein. Was er jedoch verschwieg, war, daß er sich in die Tochter des Häuptlings verliebt hatte, und, um sie heiraten zu können, dem Glauben der Eingeborenen beigetreten war. Bei der Ausübung dieser neuen Religion legte er sich dermaßen ins Zeug, daß sich in Windeseile mehrere Schismen und Sekten bildeten. Die widersprachen sich zwar alle, hatten aber gemein, daß jede die alleinseligmachende Wahrheit für sich beanspruchte. So eine theologische Wendung hatten die Südseeleute bis dato nicht erlebt. Sie waren amüsiert, ja begeistert, und um der Sache die Krone aufzusetzen, erließen sie auf dem melanesischen Kirchentag ein Religionsstiftungsedikt, das besagte, daß von heute an tagtäglich eine neue Religion zu stiften sei, mindestens jedoch eine. Einmal geweckt, erwies sich der eschatologische Appetit nämlich als schier unersättlich, vor allem, weil niemand wußte, was Eschatologie bedeutete. Am ersten Tag hielt man sie für einen Dessertpudding mit Vanillesauce und Schokoflocken, der jeweils zum Quartalsende den eschatologischen Gewinnern spendiert würde. Am zweiten Tag glaubte man darin das Wirken und Walten der Göttin Eschatola zu erkennen, die sich versteckt hinter allem und jedem hielt und deshalb auch von niemandem je gesehen ward, weshalb ihr aber eine um so größere Ehrfurcht entgegengebracht wurde. Am dritten Tag ging eine riesige Konvertierungswelle über die Inselwelt. Jetzt wurde der Eschatologie- Begriff auf einen vor Jahren entlaufenen Goldhamster der Häuptlingstochter zurückgeführt, den sie mit Vornamen „Escha“ und „Tolo“ mit Nachnamen gerufen hatte. Prompt warf der Ex- Missionar sein PR-Talent in die Waagschale, um die brandneue Hamsterreligion zu verbreiten, mehr noch aber, um der schönen Häuptlingstochter zu gefallen. Die wies ihn trotzdem ab. Scheiße.

Geknickt ruderte er daraufhin nach Deutschland zurück, wurde Wanderprediger und erzielte beachtliche Erfolge mit der Verbreitung des „Evangeliums vom Heiligen Hamster“. Auf die Kanzeln pflegte er zu steigen und also zu sprechen: „Gepriesen sei Escha Tolo in der Höh', der Heilige Hamster! Hosianna dem Großen Tolo, der alle Sonnen zusammenhält, weil er in der Mitte des Universums in seinem Laufrad wetzt. Seht ihr nicht, daß die Welt sich nur deshalb dreht, weil Escha Tolo sich da oben schwer einen abstrampelt? Und für wen? Für euch!“ Das leuchtete den Leuten ein, sie stürmten die Tierhandlungen, besorgten sich Hamster und beteten sie in heiligen Hamstertempeln an. Die Käfige vergoldete man, und an kirchlichen Feiertagen wurden die Felle der Hamster mit Lebensmittelfarbe koloriert.

Alle machten mit, jahrtausendelang. Bis auf die Melanesier. Denn in Befolgung ihres Edikts mußten sie jeden Morgen eine neue Religion erst erfinden und dann über Nacht wieder vergessen, um am nächsten Tag etwas ganz anderes glauben zu können.