Schillern, Sparen, Schließen usw.
: Kein Anlaß zur Staatstrauer

■ Die Staatlichen Bühnen Berlin werden zum Saisonende geschlossen

Am Montag noch machte der Berliner Senat mit ihnen Touristenwerbung, am Dienstag war die Schließung der „Staatlichen Schauspielbühnen Berlin“ dann beschlossene Sache. Der soeben erschienene Leitfaden „Kultur in Berlin“ werde wohl in diesem Punkt aktualisiert werden müssen, erklärte Kultursenator Roloff-Momin (parteilos) Dienstag mittag der zusammengeeilten Presse.

So recht konnte da noch niemand glauben, was der Berliner Senat in einer 17stündigen Mammutsitzung am Morgen beschlossen hatte: Mit Ende dieser Spielzeit wird der Vorhang für Deutschlands größtes Theater, das Schiller Theater und die ihm angegliederten Bühnen, für immer fallen.

Der Berliner Senat ist pleite. Schon jetzt müssen jeden Tag fünf Millionen Mark Zinslast aufgebracht werden, ein Acht-Milliarden-Loch im Haushalt 94 droht die Stadt aufzusaugen: „Wenn wir einfach weitergemacht hätten, wäre Berlin 1997 endgültig bewegungsunfähig“, erklärte der Kultursenator, „da konnte ich meinen Kollegen doch nicht einfach sagen: ,Spart mal schön, ich gehe so lange einen Kaffee trinken.‘“ Die Kunsthalle hatte man schon in den frühen Mittagsstunden abgewickelt, da waren schon 1,2 Milliarden aus den Etats „Soziales“, „Bau/Wohnen“, und „Wissenschaft“ herausgepreßt worden. Die Berliner Beamten werden täglich eine Stunde mehr arbeiten müssen, und auch vom „Tafelsilber“ trennt man sich: Die Stadt verkauft nun lukrative Anteile ihrer Gas- und Strombetriebe. Irgendwann, es ging langsam auf Mitternacht zu, fragten sich die Senatoren schließlich, ob ihre arme Stadt wirklich 21 staatsgestützte Theaterbetriebe braucht. Eine überfällige Frage.

Schon jetzt sind die vielen Berliner Bühnen gefährlich unteralimentiert. Thomas Langhoff, Intendant des renommierten Deutschen Theaters, hatte bereits angekündigt, daß er ohne die versprochene Etataufstockung in der kommenden Spielzeit die künstlerische Qualität seines Hauses nicht werde halten können, und in Castorfs Volksbühne sind die Doppelschichten bereits zur alltäglichen Realität geworden: „Das Übernachten im Theater ist nicht gestattet, der Hausmeister“, steht auf einem Aushang am Schwarzen Brett.

„Qualvolles Verenden aller Spielstätten oder ein rigider Schnitt“ – keine schöne, aber realistische Alternative. Man entschied sich für den rigiden Einschnitt. Das ist sicher ein Verlust für die Berliner Theaterlandschaft, aber kein Anlaß zur Staatstrauer. Seit über einem Jahrzehnt findet das Schiller Theater nun schon keinen Ausweg aus seiner Krise. Weder Hans Lietzau, noch Boy Gobert, nicht Heribert Sasse und auch nicht die berüchtigte „Viererbande“ konnten das zum Schluß mit 41,3 Millionen teurste Theater Deutschlands zu neuem Glanz führen.

Natürlich ist die abrupte Schließung des Hauses keine billige, sondern eine teure Lösung. Die 300 Beschäftigten mit ihren langfristigen Verträgen müssen über einen Sozialplan entlassen werden, der Theaterbau bleibt weiter am Tropf der öffentlichen Hand. Aber immerhin ist es dem Kultursenator mit dieser mittelfristig wirksamen Entscheidung gelungen, die anderen Spielstätten langfristig zu sichern: 25 Millionen Mark fließen in den nächsten Jahren in die Theaterfinanzierung, Thomas Langhoff kann aufatmen, und Frank Castorf wird sich sogar freuen können: Fünf Millionen wurden ihm bewilligt, um Johann Kresnik mit seinem Tanzensemble nach Berlin zu holen – eine zukunftsorientierte Entscheidung.

Und immerhin wird Berlin sich weiterhin drei Opernhäuser leisten, neunzehn Sprechtheater, die Unterstützung der „freien Szene“ und die Künstlerförderung bleiben von dem Sparkonzept ausgenommen.

Trotz aller Einsicht, daß das Schiller Theater schon seit längerem zur hauptstädtischen „Provinzbühne“ verkommen war (so der letzte glückreiche Generalintendant Bolewslaw Barlog), war das Lamento in der Stadt am Abend dann groß. Alle namhaften Intendanten solidarisierten sich mit dem abgewickelten Volkmar Clauß. Seine zweijährige Bewährungprobe als Intendant des Schiller Theaters nahm ein abruptes Ende. Mit einem Autokorso zogen die Theaterleute durch die Stadt, sprengten die Aufführungen ihrer Kollegen am Berliner Ensemble, am Deutschen Theater und kurz vor Mitternacht den „King Lear“ an der Volksbühne.

„Schiller muß bleiben“, skandierte die Belegschaft des Schiller Theaters und stieß damit auf solidarischen Beifall und zwei taube Ohren: Wilfried Ortmann, der gerade zu seinem Schlußmonolog als König Lear ansetzte, mochte sich die theatrale Tour partout nicht vermasseln lassen. „Heute ihr, morgen wir!“ riefen die Abgewickelten in Richtung Bühne. Sie werden mit dieser Prophezeiung wohl recht behalten: Diese Schließung wird sicher nicht die letzte bleiben. Klaudia Brunst