Die „schreckliche Heimsuchung“ der Einzeltäter

Ob Rostock, Mölln oder Solingen – die mutmaßlichen Täter haben einen organisatorischen Hintergrund / Symbiose von legalen Parteien und illegalen Neonazi-Gruppen / Bald nationalistische Ausländer als Bündnispartner?  ■ Von Thomas Köller

„Schreckliche Heimsuchung“ und Ausdruck „asozialer Gewalttätigkeit“ nannte Bundeskanzler Helmut Kohl den Brandanschlag in Solingen, bei dem fünf türkische Immigrantinnen ums Leben kamen. Generalbundesanwalt Alexander von Stahl ließ in der Folge keine Gelegenheit aus, seine These zu wiederholen, daß ein „organisierter rechtsextremistischer Hintergrund bislang nicht bekannt“ sei. Während in den Medien diskutiert wird, daß „ohne gesellige Alkoholvernichtung die meisten Anschläge nicht passiert“ wären (Spiegel), oder gar die 16jährigen als neue Problemgruppe in der Bevölkerung geortet werden – die BILD-Schlagzeile zwei Wochen nach Solingen: „Schon wieder ein 16jähriger: Rentner mit Gullydeckel erschlagen“ –, geht der Präsident des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert, mit den Verfassungsschutzbehörden scharf ins Gericht. Diese hätten es versäumt, nachdrücklich auf die Gefahren des Rechtsextremismus aufmerksam zu machen. Andere Stellen hätten zu Jahresanfang längst Entwarnung gegeben, als das BKA Monat für Monat noch stattliche 300 bis 400 fremdenfeindliche Straftaten registriert habe.

Schon einmal hatte sich Zachert bei seinen Kollegen von Polizei und Staatsschutz unbeliebt gemacht. Kurz nach den Pogromen in Rostock hatte er erklärt, die Randale sei organisiert und gesteuert gewesen. Zachert wußte, daß in Rostock sehr wohl organisierte Rechtsextremisten vor Ort waren. So posierten am 27. August 1992 in Lichtenhagen der Bonner Neonazi Stefan Niemann, der Bonner Chef der „Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands“ (FAP), Norbert Weidner, der mittlerweile aus der Szene ausgestiegene Berliner Neonazi Ingo Hasselbach sowie der Münchner Yuppie-Nazi und Chef des „Deutschen Jugendbildungswerks“ (DJBW), Ewald Althans, für ein Gruppenbild. Vom 25. August datierte Postkarten schickte Weidner auch an die Bonner Polizei mit Grüßen aus der „nun fast ausländerfreien Stadt Rostock“: „Die Stimmung ist geil, und wir lernen viel, z.B. was man mit Kanaken und Zecken so alles machen kann.“ Vor dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen sondierte die „Deutsche Volksunion“ (DVU) die Lage, die Hamburger „Liste für Ausländerstopp“ verteilte Flugblätter für ihre Aktion „Rostock bleibt deutsch“.

Und in Solingen? Während die Bundesanwaltschaft mitteilte, daß sich die vier mutmaßlichen Täter nur lose kannten und bislang „in der rechtsextremen Szene nicht aufgefallen“ wären, kamen andere Tatsachen ans Licht. Im Mittelpunkt steht der „Deutsche Hochleistungs-Kampfkunstverband“ (DHKKV), der „gerade uns Deutschen die unterschiedlichsten Kampfkünste aus aller Welt näherbringen“ will. Hinter dem DHKKV und dessen Abteilung „Deutsche Kampfsportinitiative“ (DKI) verbirgt sich die Solinger Thai-Box-Schule „Hak Pao“ unter der Leitung von Bernd Schmitt. Jeden Freitag trainierte dort die DKI, die sich als „Zusammenschluß patriotisch denkender Kampfsportler versteht“, den Nahkampf. Drei der vier mutmaßlichen Täter von Solingen waren mit von der Partie.

„Es gibt keine einzige Spur, die vom Solinger Mord zu einer rechten Partei oder einer rechten Organisation führt“, behauptet davon unbeirrt die neurechte Kölner Postille Europa vorn. Daran ändere auch der Umstand nichts, „daß der tatverdächtige Christian R. bei der Solinger Kampfsportschule von Bernd Koch asiatische Kampfsportarten gelernt hat und Koch u.a. bei rechten Veranstaltungen Saalschutzaufgaben übernommen hat“. Europa vorn-Macher Manfred Rouhs, Ratsherr der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DL) in Köln, kommentiert Solingen wie folgt: „Der Versuch, den Deutschen eine multikulturelle Gesellschaft aufzuzwingen, hat fünf weitere Menschenleben gefordert.“ Frech, denn gerade die DL hatte die Kampfsporttruppe als Saalschutz engagiert.

In der Schule von Schmitt trainierten auch Bernd Koch und Wolfgang Schlösser, zwei organisierte Neonazis, die schon seit Jahren in und um Solingen einschlägig aktiv sind. So wechselten sich Koch und Schlösser im Vorsitz des Solinger FAP-Kreisverbands ab. Schlösser gründete 1989 die „Bergische Front“, die hauptsächlich aus Skinheads bestand. Dann fand er zusammen mit Koch in der DL, vormals „Deutschen Allianz“, seine neue Heimat. Im Juli 1991 riefen sie zum monatlichen „Stammtisch“ der „Deutschen Allianz“ in einer Solinger Kneipe auf. Ein Jahr später inserierte Schlösser in der Parteizeitung Deutsche Rundschau für die Deutsche Kampfsportinitiative“ (DKI). Bernd Koch suchte per Inserat nicht nur weitere Mitarbeiter für seinen „Arbeitskreis Drogen und Kriminalität“ im Solinger DL- Kreisverband, sondern auch eine „deutsche Patriotin, bis 36 Jahre alt, die mit ihm durch dick und dünn geht. Bei Zuneigung Heirat nicht ausgeschlossen.“

Die Aktivitäten von Koch und Schlösser in der DKI waren nicht die einzigen Kontaktpunkte der mutmaßlichen Täter zum organisierten Rechtsextremismus. Die Mutter des 16jährigen Christian R. und ihr Lebensgefährte haben intensive Kontakte zu Christian Eitel und Torsten Lemmer. Eitel war zeitweise Leibwächter von DL- Chef Harald Neubauer, Lemmer war Manager der faschistischen Skinhead-Band „Störkraft“ und zeitweilig Fraktionschef der „Freien Wählergemeinschaft“ im Stadtparlament von Düsseldorf. Beide tauchen, welch ein Zufall, als Mitherausgeber im Impressum von Europa vorn auf.

Zusammen mit Manfred Rouhs gründeten sie Ende März dieses Jahres die „LER & Partner GmbH“ (Lemmer-Eitel-Rouhs) sowie das Skinzine (Fanmagazin) und Plattenlabel „Dorfmusik“, jetzt umbenannt in „Moderne Zeiten“. Als besonderen Service kann man über den Europa vorn-Telefonanschluß auch erfahren, wo als jugendgefährdend indizierte CDs erworben werden können.

Bernd Schmitt ist nach dem Solinger Attentat untergetaucht, die Kampfsportschule ist geschlossen. Ungestört aber wird die Post mit einem auf den DHKKV zugelassenen Wagen abgeholt, der schon mehrfach im NF-Hauptquartier in Detmold-Pivitsheide gesehen worden war.Schließlich fanden die Ermittler bei dem 23jährigen inhaftierten Markus G. aus Solingen einen vom 22. April 1992 datierten Mitgliedsausweis der DVU. Auch als in Norderstedt im Februar und April letzten Jahres Molotowcocktails auf das Flüchtlingsheim flogen, wurde die Polizei bei ihrer Suche nach den Tätern in den Reihen der DVU fündig. Sie verhaftete drei Personen zwischen 17 und 19 Jahren, bei denen DVU-Mitgliedsausweise gefunden wurden.

Die Einzeltäter haben also einen politischen Hintergrund. Auch die von Mölln. Nicht nur, daß Michael Peters für die NPD Plakate klebte. Militante Rechtsextremisten kümmern sich zur Zeit um die beiden vor Gericht stehenden mutmaßlichen Brandstifter. „Wir haben eine Solidaritätsgruppe eingerichtet, die versucht, die beiden zu unterstützen. Heil Deutschland“, heißt es auf der Ansage des „Nationalen Info-Telefons“ (NIT) in Wiesbaden Ende Mai. Das vom Mitglied der inzwischen verbotenen „Deutschen Alternative“, Stefan Cumic, eingerichtete Info-Telefon versteht sich als Kommunikationszentrale des „nationalen Lagers“. Dort kann jeder Adressen, Termine und Ratschläge wie „Laßt Eure Waffen zu Hause“ erfahren.

Angesichts der Verbote von bislang fünf rechtsextremistischen Gruppen und Parteien hält es das NIT für angebracht, dem rechten Lager eine neue Strategie zu empfehlen. „In den kommenden Jahren sollte nicht ausschließlich auf den Aufbau irgendwelcher Gruppen oder Parteien gesetzt werden, die im Endeffekt verboten werden“, heißt es dort. Statt dessen sollten „die Kameraden in autonomen Gruppen im ganzen Land aktive politische Arbeit leisten und Kontakte intensivieren“.

Das gilt auch für die scheinbar unabhängig voneinander operierenden Skinhead-Gruppen, wo angeblich nur „aus Spaß, Frust und Langeweile“ (Spiegel) Gewalttaten begangen werden. Bislang waren Skins direktes Zielobjekt für die militanten Organisationen. Dort versuchten sie mit wechselndem Erfolg ihren Nachwuchs zu rekrutieren. So hat sich die NF Ende der 80er Jahre an eine in Vohburg in Bayern existierende Skingruppe herangemacht und diese nach und nach organisiert. Als „Autonome Nationalisten Vohburg“ wurden sie schließlich in die Parteiarbeit integriert. Andreas Gängel, Mitglied der NF und wegen Volksverhetzung verurteilt, betreibt im badischen Bruchsal seinen „Endsieg Versand“ (ESV). Von dort aus werden die indizierten Tonträger der Mannheimer Skinband „Tonstörung“ oder der „Sperrzone“ vertrieben. Auch die FAP agitierte die Skinheads. FAP- Mitglieder spielten in Skinbands, der Erkenschwicker FAP-Mann Dieter Riefling (Szene-Jargon Miesling) ist verantwortlich für das Zine „Der Aktivist“, aus dem Essener FAP-Mitteilungsblatt wurde das Skinzine „Querschläger“ und schließlich 1991 das „Ketzerblatt FRONTAL“.

In der Februar-Ausgabe dieses Jahres von FRONTAL rufen die Macher um Andreas Zehnsdorf dazu auf, eine rechte Gegenkultur zu verankern und miteinander zu vernetzen. „Laßt uns nicht satt werden, laßt uns 1993 neue Meilensteine setzen. Wagen wir Gegenkultur, zwischen Aufbruch und neuen Ufern liegt das freie Meer mit Sturm und Drang.“ Sturm und Drang, das heißt Rostock, und dazu fällt den „Sperrzone“-Musikern im FRONTAL-Interview nur eines ein. „Lustig war's auf alle Fälle.“

„Eine nationale Gegenkultur von rechts“, die überregional vernetzt ist, will Andreas Zehnsdorf jetzt mit dem professionell gemachten Zine „Moderne Zeiten“ bundesweit schaffen. Programmatisch zeigt er gleich in der ersten Nummer mit dem Interview mit Ian Stuart, dem Kopf der englischen Kultband „Skrewdriver“, wo es langgehen soll. Diese Band hat das internationale „Blood & Honour“-Netzwerk mit dem Ziel gegründet, „mehr Leute dazu zu bewegen, an den weißen Gedanken zu glauben“.

Zu „Blood & Honour“ gehören „No Remorse“ aus England und „Dirlewanger“ aus Schweden sowie deutsche Bands und Zines wie der „Schlachtruf“ aus Freiburg oder die „Volkstreue“ aus Recklingshausen. In ihrem Zine sprechen die „Blood & Honour“-Macher von der wachsenden „White Power Skinhead“- Bewegung, die derzeit „mehr informiert und organisiert“ sei „als je zuvor“. Sie rühmen sich, die einzige Jugendkultur zu sein, die „nonkonformistisch und unberührt von der Drogenszene“ geblieben sei. Für Deutschland ist die „Nationale Liste“ in Hamburg die Kontaktadresse. Dahinter steckt Christian Worch, der langjährige Kühnen-Vertraute, der als Drahtzieher der meisten rechtsextremen Organisationen in Deutschland gilt.

Worch sitzt an der Schaltstelle eines anderen Netzes neonazistischer Gruppen. Seine Strategie ist es ebenfalls, mit vielen kleinen Gruppierungen ein uneinheitliches Bild zu liefern und es den staatlichen Organen zu erschweren, mit Verboten die gesamte Struktur zu treffen. So steht hinter den Organisationen wie „Deutsche Alternative“, „Nationaler Block“, „Nationale Offensive“ oder „Nationale Liste“ die von Michael Kühnen gegründete, aus den Niederlanden heraus operierende „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF).

Aus den dem Berliner Antifaschistischen Infoblatt vorliegenden internen Schulungsmaterialien der GdNF geht diese Strategie eindeutig hervor. Ziel der Bewegung ist die Neugründung der NSDAP und die „erneute Machtergreifung“. Das Bekenntnis zum Nationalsozialismus solle das „Tabu des Antinazismus, der seit 1945 vorherrschende Form des Systems ist, knacken“. Die Kader sollen überall dort sein, „wo Unzufriedenheit und Kritik existieren“.

Dazu bildet die GdNF „Frontorganisationen und mit NS-Kadern durchsetzte Massenorganisationen“. „Solche Massenorganisationen sind keine NS-Organisationen, vertreten aber Ideen oder Forderungen, die ein Nationalsozialist vertreten kann.“ Die praktische Arbeit läuft in den Kameradschaften, die die „Keimzelle der Bewegung“ darstellen.

Diese Struktur von autonomen Gruppen, die aber über ihre Führungskader zusammenarbeiten, wird auch von dem Aussteiger Ingo Hasselbach, selbst ehemaliger Führungskader der NSDAP/ AO, bestätigt. In Interviews erklärt Hasselbach, daß beispielsweise alle FAP- und DA-Mitglieder automatisch auch als Mitglied der illegalen NSDAP/AO geführt werden. „In Wirklichkeit ziehen alle an einem Strang, auch wenn die Anführer aus persönlichen Gründen untereinander verfeindet sind.“ Mindestens einmal im Jahr träfen sich die Nazi-Kader dann bei „Müllers in Mainz-Gonsenheim“.

Rechtsextreme Organisationen arbeiten lokal und regional in vielerlei Zusamenschlüssen zusammen, ohne jedoch dadurch ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Mehrfachmitgliedschaften sind kein Problem. DA-Chef Frank Hübner ist beispielsweise auch NPD- Mitglied. Hand in Hand arbeiten in Berlin ehemalige DA-Führungskader mit der DL der NPD, der DSU unter dem Dach der Wählervereinigung „Die Nationalen“ zusammen. Im Köln-Bonner Raum kooperieren die verschiedensten rechten Gruppierungen wie DL, Freundeskreis Ernst Zündel, FAP und NF, Wiking Jugend, Burschenschaften, DVU und NPD unter dem Dach der „Initiative Gesamtdeutschland“.

Verbote bewirken bei solchen Strukturen wenig. Die den „Jungen Nationaldemokraten“ nahestehende Erlanger Postille Die Saufeder hat für die Zukunft bereits neue Partner für ihren rassistischen Kampf ausgespäht. Sie plädiert dafür, „langfristig mit Ausländern, welche ihre nationale Identität bewahrt haben, das Gespräch aufzunehmen“, um ihnen aufzuzeigen, daß die „multikulturelle Gleichmacherei schließlich auch nicht in ihrem Interesse“ liege. „Europäische Nationalisten wollen keiner türkischen Frau das Kopftuch wegnehmen. Ansprechbare Organisationen von Ausländern existieren.“