Sozialfälle der oberen Gehaltsklasse

Die Milliardenverluste der Lloyds-Versicherungsgesellschaft empören branchenfremde Einleger  ■ Aus London Ralf Sotscheck

„Lloyds ist am Tiefpunkt seiner 306jährigen Firmengeschichte angekommen“, sagte David Rowland, der Vorsitzende der Londoner Versicherungsgesellschaft, auf der Jahreshauptversammlung am Dienstag. Ab jetzt könne es nur aufwärts gehen. Die beruhigenden Worte verfehlten freilich ihre Wirkung, mußte Rowland doch den 1.800 anwesenden Einlegern gestehen, daß der im April auf 2,5 Milliarden Pfund geschätzte Verlust noch um einiges höher liegt: Für das Jahr 1990 beträgt er 2,91 Milliarden Pfund (7,3 Milliarden Mark). Lloyds hat damit seit 1988 mehr als 5,5 Milliarden Pfund verloren.

Hauptgründe für die roten Zahlen von 1990 waren die orkanartigen Stürme in Großbritannien sowie die hohen Forderungen von Versicherungsnehmern aufgrund von Asbest- und Umweltschäden in den USA. Wenn man die Verluste auf die 27.770 Einleger mit unbeschränkter Haftung umrechnet, kommen auf jeden etwa 100.000 Pfund zu. Allerdings sind nicht alle gleichermaßen betroffen. Auf der Versammlung entbrannte ein heftiger Streit zwischen dem Vorstand und zahlreichen branchenfremden Einlegern, die den bei Lloyds angestellten Investoren Betrug vorwarfen. So haben nicht alle Versicherungskonsortien, die unter dem Lloyds-Dach zusammengeschlossen sind, Verluste eingefahren, weil die Risiken nicht gleichmäßig verteilt waren. Die branchenfremden Einleger werfen den Fachleuten daher vor, daß man sie absichtlich in die besonders risikoreichen Konsortien gelockt habe. Die Gerichte werden das letzte Wort haben.

„Wir werden diejenigen, die zahlen können, auch zur Zahlung zwingen“, sagte Rowland. Notfalls müssen die Einleger ihr Hab und Gut verkaufen, Lloyds gesteht ihnen lediglich „ein bescheidenes Haus“ im Wert von etwa 150.000 Pfund zu. Das Auktionshaus Sotheby's bietet den Lloyds-Opfern einen besonderen Service an, damit sich die Selbstmordwelle unter bankrotten Einlegern vom vergangenen Jahr nicht wiederholt. Sotheby's will den Betroffenen 40 Prozent der Kommissionsgebühren nachlassen. Zu den Opfern gehören 47 Tory-Abgeordnete, die aber damit rechnen können, daß ihre Partei sie nicht im Stich läßt. Sollten sie nämlich pleite gehen, würden sie auch automatisch ihre Parlamentssitze verlieren – und Premierminister John Major seine knappe Unterhaus-Mehrheit.

Die Hoffnung auf einen anderen Rettungsanker mußten die Einleger am Dienstag aufgeben: die staatliche Wohlfahrtskommission hat es abgelehnt, den Lloyds- Hilfsfonds als mildtätige Organisation anzuerkennen. Die Gründer des Fonds hatten im Fall der Anerkennung mit – steuerlich absetzbaren – Spenden in Höhe von 50 Millionen Pfund gerechnet, die den am schlimmsten Betroffenen zugute kommen sollten. Das Mitleid hält sich außerhalb der Versicherungsmärkte allerdings in Grenzen. Schließlich treffen die Verluste keine Kleinsparer, sondern Investoren aus der oberen Mittelschicht, die in der Hoffnung auf eine schnelle Mark auf den Zug aufgesprungen sind.

In seiner langen Geschichte hatte Lloyds bis 1988 nur äußerst selten Verluste gemacht. Die Einleger, die bereit waren, das Minimum von 250.000 Pfund zu investieren, mußten nur ein knappes Drittel der Summe an Lloyds überweisen, während der Rest auf ihren eigenen Konten blieb und Zinsen brachte. Solange Lloyds schwarze Zahlen schrieb, kassierten die Einleger die doppelte Dividende. Also sollen sie jetzt auch die Verluste ausbaden, lautet der Tenor in der britischen Geschäftswelt. In Zeiten, in denen die Regierung laut über Kürzungen der Sozialhilfe nachdenkt, wäre eine staatliche Subvention der Lloyds-Einleger – und die Anerkennung des Fonds als Wohlfahrtsorganisation wäre ja nichts anderes – politisch ohnehin nicht durchzusetzen.

Einer der Einleger, Alan Price, sagte am Dienstag: „Es sind die 80 Prozent branchenfremden Einleger, die über die Zukunft der Versicherungsgesellschaft entscheiden. Wenn die Schließung zu unserem Vorteil ist, und das ist durchaus möglich, dann wird der Laden dichtgemacht.“ David Rowland warnte jedoch, daß Zehntausende Jobs verlorengingen. „Das wäre das Ende von London als internationalem Versicherungszentrum und in den Augen der ganzen Welt ein weiterer Beweis für den endgültigen Niedergang Großbritanniens als Handelsnation“, sagte er.

Lloyds hat im April zum ersten Mal in der Firmengeschichte einen Geschäftsplan aufgestellt, um das Überleben der Firma zu sichern. Demnach will man das Aktienkapital mit Hilfe von Investoren erhöhen, die nur beschränkt haftbar sind. Dagegen wehren sich jedoch die bisherigen Einleger, die der Geschäftsleitung Unfähigkeit und mangelnde Übersicht über die Geschätsrisiken vorwerfen. Sie fordern, daß ihnen in Zukunft ein Viertel aller Profite zukommt, um ihre derzeitigen Verluste auszugleichen. Darüber soll in zwei Wochen auf der außerordentlichen Generalversammlung entschieden werden, die die Einleger erzwungen haben. Falls der Antrag durchgeht, so Rowland, wäre die goldene Gans – nämlich die Neu-Investoren – geschlachtet, bevor sie Eier legen kann. Im nächsten Jahr wird noch einmal mit einem Verlust von einer Milliarde Pfund gerechnet, bescheidene Gewinne sind erst ab 1996 zu erwarten.