St. Florian, St. Florian...

Die Belegschaft des Schiller Theaters hat ihr Haus besetzt. Plötzlich weiß die halbe Stadt, wo man hätte sinnvoller sparen können  ■ Von Klaudia Brunst

„Das gibt's nicht mal in Texas, das gibt's nicht mal in Wien. Das gibt's nur in Berlin“, schunkelt es am Mittwoch aus großen Lautsprechern vom Schiller Theater herab über die Bismarckstraße. Seit den frühen Abendstunden sind die Staatlichen Bühnen besetzt. Die Belegschaft hat die Regie im Hause übernommen, hat den schwarzen Trauerflor, der noch am Dienstag von den Dächern hing, abgenommen. Nun trotzt der Dampfer Schiller Theater mit Karnevalsklängen der Entscheidung, am 4. Juli verschrottet zu werden.

Vor dem Haus lungert die Presse herum und interviewt die herbeiströmenden Bildungsbürger, die sich noch schnell mit Karten eindecken, bevor es zu spät ist. „Der Andrang ist heute riesig“, erklärt die Kassiererin. Den ganzen Tag über verkauft sie Karten für die nächsten, höchstwahrscheinlich letzten zehn Spieltage. Zwei mal „Hase, Hase“ verlangt ein älterer Herr, der „völlig entsetzt“ ist von der Entscheidung des Berliner Senats. „Für Montag?“ fragt die Kassiererin. „Ja, für Montag“, antwortet er, „geht ja wohl nicht mehr später.“

Wenn es nach dem Willen der Besetzer geht, wird es auch nach dem 4. Juli an der Bismarckstraße weitergehen: Täglich will man dem System trotzen, weiter Theater spielen, Aktionen und Diskussionen sind geplant: Für heute abend haben sich die HdK und die Kunsthochschule Weißensee angekündigt, am Samstag wird es ab 23 Uhr eine lange Soli-Nacht geben mit vielen Künstlern, die noch eilig zusammengetrommelt werden sollen. So hat es die inzwischen täglich mehrfach tagende Betriebsversammlung beschlossen. Niemand denkt derzeit an seinen geplanten Jahresurlaub, jetzt heißt es Flagge zeigen. Auch die Querelen mit der Intendanz sind nun vergessen. Volkmar Clauß, gegen den sich im in den letzten Wochen im eigenen Haus auch kritische Stimmen mehrten, soll in jedem Fall weiter Intendant bleiben. Zu dumm, daß er noch keinen unterschriebenen Vertrag hat. Jetzt kann ihn der Kultursenator um so leichter feuern. Aber dessen Stuhl wankt mittlerweile selbst gewaltig. Die „Operation am offenen Herzen“, wie er den eiligen Beschluß des Senats noch am Montag beschrieben hatte, droht dem Chefarzt zum Verhängnis zu werden. Krisensitzungen aller Fraktionen sind für den Donnerstag geplant. Plötzlich wollen alle das Schiller Theater retten, auch die, die bisher immer mit den Auslastungszahlen des Hauses Politik gemacht hatten: 288 Mark kostete schon vor zwei Jahren jeder verkaufte Platz im großen Haus.

Gegen Abend erheben sich die 350 Beschäftigten und 86 Ensemblemitglieder von den teuren Sesseln ihres Parketts. In kleinen Gruppen diskutiert man im Hinterhof, wie es weitergehen soll – ob es weitergehen wird. Gerüchte kursieren: Frank Castorf will gesagt haben, man habe ihm in der Nacht zum Dienstag angeboten, das Schiller Theater zu übernehmen. „Entscheiden Sie sich, Sie haben eine halbe Stunde Zeit“, soll der Kultursenator gesagt haben. Anderenfalls werde das Schiller Theater dichtgemacht. Daß Castorf diesen Vorschlag abgelehnt hat, mag mehrere Gründe haben: Solidarität mit den Westkollegen, sicher. Aber auch die taktische Überlegung, daß sein Publikum nicht in Charlottenburg sitzt. Und hätte er sich in der Stadt sehen lassen können, nach so einer Übernahme?

Die Solidaritätsadressen aus anderen Spielstätten trudeln über den ganzen Tag hin ein, über fünfzig sind es abends um acht, und es könnten noch mehr sein, wäre das Faxgerät nicht so überlastet. Darunter sind auch viele Spielleiter, die bisher immer sehr neidisch auf den opulenten Etat der Staatlichen Bühnen geschaut hatten. Die Parole „Heute wir, morgen ihr!“ bringt alle Kritiker wieder auf Kurs. „Die Oper soll teilen“, steht auf einem Plakat vor dem Schiller Theater. Sehr weit reicht die Solidarität offenbar dann doch nicht. Die Empörung, daß auf der alles entscheidenen Sitzung des Senats alle Häuser mal zur Disposition standen, ist groß – nun fangen auch die Sympathisanten des Schiller Theaters an, Listen zu basteln und Etats anderer Häuser zu diskutieren.

Frank Castorf und Thomas Langhoff, die beiden unfreiwilligen Profiteure der Senatsentscheidung, haben es nun schwer: Natürlich wollen sie solidarisch sein mit ihren abgewickelten Kollegen, andererseits hatten die Ostintendanten den Druck auf die gut bestallte Westbühne in den letzten Monaten heftig verstärkt. Die 41,3 Millionen Mark Subventionen waren die Meßlatte für die eigenen Forderungen gewesen. Was er sich davon kaufen könne, hatte Langhoff noch in der letzten Woche vor Journalisten gefragt, wenn der Kultursenator ihm sage: „Herr Langhoff, das Schiller Theater hat zwar mehr Geld, aber Sie machen das bessere Theater.“ Jetzt findet er es „fürchterlich“, seine berechtigten Forderungen mit der Schließung der Staatlichen Bühnen zu verquicken.

Die Stimmen in der Stadt, die nun behaupten, die Etataufstockung der verbleibenden 19 Bühnen sei üppig, täuschen sich wirklich gewaltig. Die zwei Millionen für das Deutsche Theater decken kaum mehr als das in den letzten zwei Jahren angehäufte Defizit. Trotzdem fühlen sich jetzt alle Berliner Theaterschaffenden in einem Boot: Grußbotschaften werden vor den abendlich stattfindenden Vorstellungen verlesen. Selbstverständlich sei man „solidarisch mit allen Theatern, denen so etwas passiert“, erklärt Thomas Langhoff am Abend im SFB. Frank Castorf übt sich in dieser Sendung immerhin in verhaltener Selbstkritik: Er ist einer der wenigen, die sich daran erinnern können, wie sang- und klanglos die Freie Volksbühne und das „Ei“ im Friedrichstadtpalast abgewickelt worden sind.

Der Kulturpolitische Sprecher der CDU, Uwe Lehmann-Brauns, profiliert sich derweil im Kampf gegen den parteilosen Kultursenator. Ein nicht hinzunehmender „Hammerschlag“, gegen den man kämpfen werde, sei diese Schließung. Die CDU hätte lieber die Volksbühne und das Maxim Gorki Theater dichtgemacht. Laut sagen mag das Herr Lehmann-Brauns nun allerdings nicht mehr.

„Jetzt hau'n wir mit dem Hämmerchen das Sparschwein“, dröhnt es noch über die Straße, als die Belegschaft sich zur Nachtwache rüstet. Es klingt ein bißchen bitter.

18 Uhr: Diskussion mit der HdK und der Kunsthochschule Weißensee. 19 Uhr: „Don Carlos“.