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Getrennte Demos am Christopher Street Day

Der Streit um zwei verschiedene Routen entzweit seit Herbst die Szene / Politische Differenzen sind längst durch persönliche Animositäten überlagert / Initiative für einen gemeinsamen Christopher Street Day im nächsten Jahr  ■ Von Dorothee Winden

Seit Wochen ist vor allem eine Frage Gesprächsthema in der Berliner Lesben- und Schwulenszene: „Zu welcher Demo gehst du am Christopher Street Day?“ Doch egal ob die Entscheidung für den Kurfürstendamm oder für die Route durch Ostberlin fällt, die Unzufriedenheit darüber, daß keine gemeinsame Demonstration stattfindet, ist groß. Verständnis dafür, daß die beiden Veranstaltergruppen so zerstritten sind, daß nicht einmal mehr eine gemeinsame Abschlußkundgebung möglich war, hat bei den Unbeteiligten kaum jemand.

Was im Herbst einmal als Streit um unterschiedliche Vorstellungen über politische Inhalte und die Demoroute begann, hat sich längst zu einem unauflöslichen Knäuel verwirrt, in dem Argumente, gruppendynamische Prozesse und persönliche Animositäten kaum noch auseinanderzuhalten sind.

Angefangen hatte der Streit mit der vehementen Kritik von Lesben, bei denen der „Europride“ der CSD e.V. Assoziationen an die Abschottungspolitik der EG gegenüber Flüchtlingen wachrief. In einer Resolution der Lesbenwoche hieß es im Oktober 1992: „Die täglichen Angriffe auf Lesben und Schwule, die rassistischen Pogrome und zunehmende sexistische Gewalt sind keine isolierten Erscheinungen. Sie müssen zusammen gesehen und bekämpft werden.“ Die übliche Jubelparade auf dem Ku'damm sei zu unpolitisch geworden, die Demo solle umbenannt werden in „Internationale Lesben- und Schwulendemo gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Neofaschismus“.

Es folgten monatelange Debatten, eine Einigung konnte jedoch nicht erzielt werden. Wofür nun jeder die Gegenseite verantwortlich macht. Abgesehen davon, daß auf beiden Seiten nach der Spaltung mit harten Bandagen und recht unfeinen Methoden gegeneinander vorgegangen wurde, hat die Auseinandersetzung auch ihre gute Seite. Noch nie waren in beiden Gruppen so viele Frauen beteiligt wie in diesem Jahr. Beide Gruppen haben ein umfangreiches Programm politischer Veranstaltungen organisiert. Das Ziel, den Christopher Street Day zu politisieren, ist erreicht.

Dennoch, der Unmut an der Basis ist groß. „Ich finde das völlig beschissen, die Energie zu teilen und zwei Demos und zwei Festivals zu veranstalten“, sagt Christine Stabroth. Sie will deshalb bei beiden Demos einen Aufruf verteilen, in dem sie die Berliner Lesben und Schwulen aufruft, den zerstrittenen OrganisatorInnen klarzumachen, daß es nächstes Jahr wieder einen gemeinsamen Christopher Street Day geben muß.

Positive Signale dazu gibt es bereits von seiten beider Veranstalter. Für Angela Schmerfeld vom CSD e.V. steht „außer Frage“, daß es im nächsten Jahr wieder eine gemeinsame Demo geben muß. Das sehen ihrer Einschätzung nach auch die anderen MitstreiterInnen vom CSD e.V. so. Und auch beim Aktionsbündnis besteht „Konsens, daß es wieder zusammengehen muß“, sagt Angela von Tallian.

Zu hoffen ist nur, daß nicht eine der beiden Gruppen finanziell auf der Strecke bleibt. Die Kosten für das Festival des CSD e.V. in der Wuhlheide belaufen sich auf satte 409.000 Mark. Um kein Minus zu machen, müssen mindestens 17.000 Karten verkauft werden. „Einige von uns haben privat ein paar tausend Mark vorgeschossen“, sagt Angela Schmerfeld. Das Hickhack zwischen den beiden Gruppen hat auch potentielle Sponsoren abgeschreckt.

Das Aktionsbündnis wollte ganz bewußt nicht so ein hohes finanzielles Risiko eingehen. „Wir bestreiten unser siebentägiges Festival mit einem Drittel dessen, was der CSD e.V. ausgibt“, so Angela von Tallian. Möglich wurde dies durch ein „Minimalkostenkonzept“, wonach sich alle Firmen bereit erklärt haben, nur die notwendigsten Kosten abzurechnen. Dennoch sind einzelne OrganisatorInnen ein finanzielles Risiko eingegangen, da ein großer Teil der Ausgaben über private Bürgschaften abgesichert werden mußte.

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