"Schwarz" verstehen wir politisch

■ Die afrodeutsche HipHop-Gruppe Advanced Chemistry über ihre Erfahrungen mit alltäglichem Rassismus. Ein Interview

Advanced Chemistry sind die Rapper Linguist, Torch und Toni L. Bisher ist von ihnen die vielbeachtete Maxi „Fremd im eigenen Land“ erschienen, enthalten auch auf dem Sampler „Kill the Nation with a Groove“. In Kürze soll eine neue Maxi „Welcher Pfad führt zur Geschichte?“ herauskommen. Im Interview kommt Linguist zu Wort. Advanced Chemistry leben und arbeiten in Heidelberg.

taz: Euer bekanntestes Stück ist sicher „Fremd im eigenen Land“. Daß ihr euch darin offensiv als Deutsche bezeichnet, wird einigen nicht passen, die ein bestimmtes Bild von einem Deutschen haben.

Linguist: Gut, daß du es so sagst: die ein bestimmtes Bild von einem Deutschen haben. Das Verrückte ist, daß wir natürlich einerseits von Leuten, die ideologisch entgegengesetzt, also rechts sind oder konservativ, angegriffen werden. Daß das denen natürlich nicht ins Bild paßt, wenn ein Schwarzer seinen grünen Paß in die Kamera hält und dann offensiv sagt, daß er Deutscher ist. Andererseits aber, und das ist das Verrückte daran: Leute, die sich für sehr links halten, glauben, daß wir uns dadurch distanzieren wollen von solchen Minderheiten in Deutschland, die keinen grünen Paß haben. Der Vorwurf kam sehr oft. Da habe ich mich gewundert, weil ich denke, die Leute hören nicht richtig zu.

Was haben sie überhört?

Erstens gibt es da einen langen Teil von Toni L., in dem er darüber rappt, daß Immigranten in diesem Land ihren Teil geleistet haben – falls man das so überhaupt sagen darf – zum Aufbau dieser Gesellschaft, zum Aufbau dieses Landes, und deswegen auch das Recht haben, politische Rechte zu fordern. „Visible Minorities“, also „sichtbare Minderheiten“ wie uns, sollte man erst mal als Deutsche auffassen. Der zweite Schritt ist, daß ich mehr verlange und sage: Abgesehen von den sichtbaren Minderheiten, die schon deutsche Pässe haben, muß man auch verlangen, daß solche, die in diesem Land schon ewig leben, die Immigranten sind und hier bleiben, auch das Recht auf deutsche Pässe haben. Die sehen gar nicht, daß das eine auf dem anderen aufbaut.

Wie siehst du den Stand in Deutschland?

Das ist schwierig zu erklären. Man redet von „Fremdenfeindlichkeit“, von „Ausländerfeindlichkeit“, dann kommt manchmal „Rassismus“ dazwischen – das kommt relativ selten vor, das Wort. Alles sehr diffus und politisch keine klaren Linien. Das ist in anderen Ländern nicht so sehr der Fall. Ich möchte das mal aufschlüsseln. Es gibt in Deutschland Angehörige von Minderheiten. Es gibt Minderheiten mit deutschem Paß. Das bin ich zum Beispiel, als schwarzer Deutscher. Es gibt Minderheiten in diesem Land ohne deutschen Paß. Das sind zum Beispiel Deutschtürken – ich sage bewußt Deutschtürken –, das sind Deutschjugoslawen, Deutschmarokkaner, wer auch immer. Aber wir gehören alle in einen Topf. Wir sind alle von Rassismus betroffen, nicht von Ausländerfeindlichkeit. Das ist das Wichtige, was man den Leuten klarmachen muß. Ich bin von Rassismus betroffen, habe aber das Glück, daß ich wenigstens nicht aus diesem Land rausgeschmissen werde. Andererseits gibt es für mich keine Gesetze, die meine Rechte verteidigen als Minderheit. Es ist nicht wie in England, wo es eine ganz klare Gesetzgebung gibt. Die verbietet beispielsweise einem Unternehmer, mich aufgrund meiner Hautfarbe nicht einzustellen. Ich kann sofort vor Gericht gehen und dagegen klagen. Wenn mir eine Discothek den Zutritt verweigert, kann ich mit dem Gesetz bewirken, daß der mich morgen in diese Disco reinläßt, oder sie muß eben schließen. Das geht in Deutschland nicht. Es gibt keine solchen Gesetze. Das gilt für mich und gilt auch für Leute von Minderheiten ohne deutschen Paß. Während bei den Minderheiten ohne deutschen Paß noch dazukommt, daß sie keinerlei politische Rechte haben. Sie können noch nicht einmal wählen gehen. Das geht ja richtig weit. Ich merke es beim Studium zum Beispiel. Daß eine türkische Kommilitonin von mir, also Deutsche, aber mit türkischem Paß, daß die zum Beispiel nicht nach Frankreich gehen kann für ein Jahr, das Bafög zahlt das nicht. Solche Sachen. Das geht in jeden Lebensbereich hinein. Das ist keinem in diesem Land anscheinend klar, weil es auch keine Theoriediskussion über Rassismus hier gibt. In England gibt es eine Diskussion, die ist zwanzig Jahre alt. England ist ein deklarierter multikultureller Staat. Das heißt, Lehrer müssen sich mit Rassismus auseinandersetzen, müssen/sollen irgendwelche Seminare besuchen. Es gibt eine erwachsene, reife Diskussion, auch wenn dort Rassismus genauso herrscht wie in Deutschland. Mit „Fremd im eigenen Land“ wollten wir erst mal genau diese sichtbaren Minderheiten erreichen und auch das Bewußtsein schaffen, daß wir zusammengehören, daß wir uns nicht aufspalten lassen sollten. Daß es so etwas wie Afrodeutsche gibt. Daß es so etwas wie schwarze Deutsche gibt.

Gibt es nicht sogar einen Verein Afrodeutscher?

Es gibt die ISD, Initiative Schwarze Deutsche, etwa seit 1986, wo man versucht, Schwarzen in Deutschland ein politisches Foihre Erfahrungen mit alltäglichem Rassismus. Ein Interview

von Thomas Bohnet

rum zu geben, was letztendlich der Idealfall ist. Daß man als pressure group auch später politischen Einfluß hätte wie beispielsweise der Zentralrat der Juden in Deutschland, Zentralrat der Roma und Sintin – der leider kaum die gleiche Macht hat wie der der Juden –, und dadurch auch etwas bewirken kann.

Gibt es Zahlen, wieviel Afrodeutsche hier leben?

Ja, es gibt Schätzungen, weil es offiziell keine Zensurzahlen wie etwa in Amerika gibt. Obwohl ich sicher bin, daß der Verfassungsschutz darüber Angaben machen könnte. Die wissen es sicherlich am besten. Aber wir schätzen irgendwie zwischen zweihundert- und fünfhunderttausend. „Schwarz“ verstehen wir politisch, weil wir nicht einsehen, daß wir irgendwelche ethnischen Kategorien übernehmen sollen, die von der weißen Gesellschaft erfunden wurden. Das heißt, es gibt genauso Deutschasiaten dabei, es gibt Afrodeutsche, ob sie nun amerikanischen, afrikanischen, südamerikanischen, karibischen, papua- neuguinesischen Hintergrund haben oder nicht. Also eben auch ein Deutschinder oder ein Deutschchinese. Also nichtweiß heißt schwarz. Einfach, um klarzustellen, daß diese sichtbaren Minderheiten, egal, wo nun der ethnische Hintergrund liegt, unter Rassismus zu leiden haben.

In „Fremd im eigenen Land“ habt Ihr eine besonders schöne Textpassage, eine Frauenstimme fragt: „Gehst du mal später zurück in deine Heimat?“ Dann der Rapper: „Wohin, nach Heidelberg, wo ich mein Heim hab?“ Sie: „Nein, du weißt, was ich mein'...“ Rapper: „Komm, laß es sein, ich kenne diese Frage, seit ich klein...“

Wenn diesen Satz irgendein schwarzer Deutscher hier hört, der weiß sicherlich sofort, was gemeint ist. Alle Afrodeutschen, die ich kenne, haben bei dem Satz sofort gelacht. Das ist eine Sache, die man jeden Tag, ich übertreibe nicht, 365 Tage im Jahr, hört. Du lernst jemanden kennen, du redest mit der Person. Du weißt ganz genau: Irgendwann kommt die Frage: „Sag mal, woher kommst du denn?“ Da mußt du dich erklären, mußt deine ganze individuelle Geschichte auspacken, wenn du Bock dazu hast. Ich mach' das nicht mehr, das ist klar. Über das bin ich hinaus. Und dann kommt eben irgendwann auch einmal die Frage, ob man irgendwann einmal zurückkehrt. Die Leute sollten verstehen, daß Rassismus genau auch damit etwas zu tun hat, indirekt, diese ganzen subtilen Sachen, die den ganzen Tag passieren. Ich fange ja nicht ein Gespräch damit an, daß ich frage, wo du herkommst, wo du geboren bist, weil du Weißer bist.

Also verhalten sich nicht nur die erklärten Rassisten rassistisch, sondern eben auch Leute, die sich selber wohl als Anti-Rassisten bezeichnen würden?

Richtig. Das ist eben das Schwierige daran. Daß auch das Bewußtsein in Deutschland dafür nicht sehr groß ist, daß Rassismus nicht nur damit zu tun hat, daß mir „nur“ ein Skinhead ein paar aufs Maul haut; daß Rassismus ein System ist, das die ganze Gesellschaft durchdringt, die ganze Erziehung durchdringt. Daß man, wenn man sich nicht aktiv damit beschäftigt hat, diesen Rassismus nicht los wird. Ich bin nicht kein Rassist, nur weil ich jemanden auf der Straße nicht beschimpfe, nur weil ich jemanden bediene im Laden. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, und auch ich als Schwarzer muß meinen Rassismus bekämpfen. Nicht gegenüber Weißen, sondern gegenüber Schwarzen. Du glaubst es nicht, aber es ist so. Ich habe lange dafür gebraucht, daß die ganze Scheiße aus meinem Kopf rausgeht. Jetzt gucke dir mal einen Weißen an, der das nicht einmal müßte. Er kann hervorragend damit leben, daß er irgendwelche Stereotypen über Schwarze im Kopf hat. Diese Personen müßten genauso aktiv daran arbeiten wie ich. Und das dauert, verdammt noch mal, sehr lange.

Noch einmal zu eurem Stück. Einen Satz fand ich auch noch bemerkenswert: „In der Fernsehsendung die Wiedervereinigung, anfangs hab ich mich gefreut, doch schnell hab ich's bereut; denn noch nie, seit ich denken kann, war's so schlimm wie heut!“ Kommt ein bißchen rüber, als ob Rassismus hauptsächlich ein Problem der Ossis wäre, und das ist es ja nachweislich nicht.

Tatsache ist, daß wir mit Rassismus, ob nun offen oder versteckt, unser ganzes Leben lang zu tun hatten. Nur ist seit der Wiedervereinigung die Situation auf der Straße einfach unsicherer geworden. Nicht wegen der dazugekommenen Leute aus dem Osten, sondern einfach wegen des gestiegenen deutschen Selbstbewußtseins allgemein, ob im Osten oder im Westen. In Nordhrein-Westfalen, glaube ich, waren 1992 die Ziffern am höchsten, was rassistische Übergriffe angeht. Das muß man sich klarmachen. Es ist auch klar mit dem Text: Torch hat sich natürlich nicht über die Wiedervereinigung gefreut. Aber er hat es halt so ausdrücken wollen, daß er als Deutscher genauso mit irgendwelchen Pseudo- oder wirklich existierenden Gefühlen zu tun hat, daß er sich genauso überkommen fühlen kann. Zu sagen: Mensch klasse, Deutschland ist jetzt ein geeintes Land, aber schnell der Realität erliegen muß, daß er in diesem Deal nicht dabei ist.

Inzwischen hat der alltägliche Rassismus die Ebene der Worte längst überschritten. In „Fremd im eigenen Land“ habt ihr noch die kurze Radiomeldung nach Rostock eingeschnitten. Inzwischen geht es leider schon konkret um Tote. Was ist eurer Meinung nach zu tun?

Auf großer Ebene sollte man auf jeden Fall die deutsche Staatsangehörigkeit für die Minderheiten, die hier leben, verfügbar machen.

Stichwort doppelte Staatsbürgerschaft?

Genau, das ist das eine. Es gibt natürlich Leute, die sagen, die doppelte Staatsangehörigkeit löst nichts, weil der Rassismus weiterhin existieren wird. Und da kommt nun das Wort Rassismus wirklich ins Spiel, vorher war's Ausländerfeindlichkeit. Wie gesagt, da merkt man, daß man mit diesem Begriff „Ausländerfeindlichkeit“ nichts anfangen kann. Jeder demokratische Staat muß Schutz für Minderheiten in seinem Land garantieren können. Das ist eines der demokratischen Grundprinzipien überhaupt, zumindest westlicher Demokratien. Das ist nicht der Fall in Deutschland. Für mich ist also hier eines der Grundprinzipien demokratischer Staaten verletzt.

Wie könnte man die Minderheiten besser schützen?

Neben der doppelten Staatsbürgerschaft sollten die Leute hier auch auf die Straßen gehen für Antidiskriminierungsgesetze. Also „equal opportunity“-Gesetze, wie sie in den USA zum Beispiel existieren. Daß Schwarze ihr Recht einklagen können, daß ein Deutschtürke sein Recht einklagen kann, wenn er weiß, daß er rassistisch diskriminiert worden ist. Wichtig ist auch, daß für solche Fälle Richter ausgebildet werden. Die haben doch hier überhaupt keine Ahnung von Rassismustheorien. Da hocken 50jährige Typen in den Gerichtssälen, die noch nie ein Buch von Angela Davis oder anderen gelesen haben. Es gibt eine ganze theoretische Geschichte, seit hundert Jahren schreiben Leute über Rassismus. Das ist längst eine ausgereifte wissenschaftliche Diskussion, die wird in Deutschland gar nicht wahrgenommen. Doppelte Staatsbürgerschaft alleine reicht nicht aus, das ist richtig. Da würde ich wahrscheinlich mit einem CDU-Typen auf gleicher Linie sein, aber der geht natürlich nicht die Konsequenz weiter und sagt: Minderheitenrechte. Das gehört zusammen.

Die Sache bei der doppelten Staatsbürgerschaft ist ja auch: Wenn jemand das Recht zu wählen hat, ist er auch für Politiker interessant – als potentieller Wähler. Wenn du eine Million Deutschtürken hast, dann ist da schon ein gewisser Einfluß auf die Parteien da.

Genau, und so Städte wie Frankfurt oder Berlin würden ganz andere Machtverhältnisse aufweisen, oder Köln.

Wie ist es bei euch dreien, ihr habt nur den deutschen Paß?

Wir haben alle nur den deutschen Paß. Ich kann den ghanaischen nicht haben, weil es da kein Abkommen gibt zwischen Ghana und Deutschland. Ich hatte einen ghanaischen Paß, mußte den aber abgeben und bekam einen deutschen Paß. Für mich war das aber kein Problem, weil meine Mutter Deutsche ist. Das ist ja eben diese ethnische Definition von Deutschsein: es im Blut haben.

Ihr habt verschiedene Elternteile, jeweils aus Deutschland und Ghana, Italien beziehungsweise Haiti. Ihr seid hier aufgewachsen. Was heißt nun das Deutschsein für euch?

Es ist wichtig, daß man dieses Deutschsein eben nicht nationalstaatlich definiert mit irgendwelchem ideologischen Kram im Hintergrund wie Heimat, also diese eher diffusen Gefühle, die ja ausgenutzt werden, um so etwas wie einen Patriotismus entstehen zu lassen. Deutschsein ist für mich ein Daseinszustand. Ich habe einen grünen Paß, ich spreche Deutsch, ich bin in Deutschland aufgewachsen, hier sozialisiert worden, hier zur Schule gegangen. Das hat nichts mit Religion zu tun, auch nichts mit Essensgewohnheiten oder mit Aussehen. Eine typische Deutsche ist für mich genauso eine Frau, die ein Kopftuch trägt, jeden Freitag in eine Moschee geht, um zu beten, und die jede Sommerferien in die Türkei fliegt. Das ist wichtig, daß man das versteht. Daß sich Deutschsein nicht über irgendwelche typischen Merkmale definiert: weiß sein, mitteleuropäisch aussehen, Sauerkraut essen und sonntags spazierengehen. Ich bin ein typischer Deutscher, das will ich damit sagen.