Die Koalition im Karlsruher Glück

Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts zum Somalia-Einsatz sind die Chancen auf ein Entgegenkommen der Koalition zur SPD noch weiter gesunken  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Kein Zweifel: In der Kunst der politischen Häme ist Volker Rühe bewandert wie kein zweiter. Wenn die SPD die Somalia-Entscheidung des Verfassungsgerichts als ihren Erfolg bewerte, spottete der Verteidigungsminister am Mittwoch abend, „dann wünsche ich mir noch häufiger Situationen, in denen sich die SPD durchsetzt.“ Nach diesem Motto ging die Koalition aus CDU/CSU und FDP gestern sogleich daran, den von SPD- Fraktionschef Hans-Ulrich Klose gefeierten „Sieg des Parlaments“ in ein Tor für die Regierung zu verwandeln.

Der Forderung des Karlsruher Gerichts, den Bundestag erneut mit der Somalia-Mission zu befassen, kamen die Koalitionsfraktionen in Windeseile nach. Bereits gestern vormittag lag den Regierungsabgeordneten der Beschlußtext vor. Bereits zur Mittagszeit begann die Auftaktdebatte im Bundestag – auf eine Stunde befristet. Am Freitag in einer Woche, so plant es die Koalition, soll der Beschluß das Parlament passiert haben.

Es drängt die Zeit. Bereits am 3. Juli, so Rühe, solle das Material für das Hauptkontingent der Bundeswehr nach Somalia eingeschifft werden. Um dem Karlsruher Urteil gerecht zu werden, müsse der Bundestag vorher seinen Beschluß fassen – so interpretierten auch der Verteidigungminister und Außenminister Klaus Kinkel die Gerichtsentscheidung.

SPD-Fraktionschef Klose, der noch am Mittwoch abend „Gründlichkeit und sorgfältige Sachabwägung“ verlangt hatte, gab klein bei. Die SPD werde die Parlamentsentscheidung nicht mit Geschäftsordnungstricks blockieren, versicherte er. Auch der SPD-Außenpolitiker Günter Verheugen machte seinen Diener vor der Regierung. Bis zur Gerichtsentscheidung in der Hauptsache werde die SPD den Vorwurf nicht wiederholen, der Somalia-Einsatz sei verfassungswidrig, versicherte er. Klose, der Sieger, begründete die Nachgiebigkeit so: Man wolle nicht „den schlechten Verlierer markieren.“

Sicher ist: Nach der erneuten Niederlage in Karlsruhe sind die Aussichten der SPD weiter gesunken, daß ihr die Koalition im Streit um eine Grundgesetzänderung entgegenkommt. Kinkel wiederholte zwar das Angebot, Kampfeinsätze an eine Zweidrittelmehrheit zu binden. „Tendenziell“, so der Außenminister und FDP-Chef wörtlich, „stehe ich zu dem, was ich gesagt habe.“

Rühe zögerte jedoch am Mittwoch abend nicht, seinem Kabinettskollegen sofort zu widersprechen. Nach dem Somalia-Urteil habe die Regierung „noch weniger Veranlassung“, von ihrer Position abzugehen.

Rühe war es aber auch, der für die nähere Zukunft zu militärischer Zurückhaltung riet. „Weitere größere Aufträge“ nach Art der Somalia-Expedition seien „zusätzlich nicht machbar“, warnte der Wehrminister. Der Außenminister hingegen sah schon x-mögliche weitere UNO-Einsätze auf die Bundeswehr zukommen – selbst in der Zeit bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts in der Hauptsache.

Bei soviel Geschäftigkeit gab es in Bonn keinen Platz für die Zweifler unter den Regierungsabgeordneten – etwa den FDP-Parlamentarier Burkhard Hirsch. Das „politische Ziel“ des Somalia-Einsatzes bleibe nach wie vor „im dunkeln“, klagte er nach der Fraktionssitzung, zu der die FDP-Abgeordneten gestern früh zusammengetrommelt worden waren. „Im ganzen Deutschen Bundestag“, meinte Hirsch, „höre ich über diese Frage nichts Befriedigendes.“ Überflüssig zu erwähnen, daß er in der gestrigen Somalia- Debatte nicht zu Wort kam.