Schon den Zivi im Blickfeld

■ „Wohin denn ich?“: Theaterprojekt mit der reiferen Jugend auf Kampnagel

„Elsa, hast Du meinen Schminkstift?“ Isabel mit dem großem Hut fragt begierig nach dem Verschönerungswerkzeug. Auch ältere Frauen sind eitel, haben ein Recht darauf — und neuerdings spielen sie immer häufiger Theater.

Neben Schauspielhaus und Thalia hat nun auch Kampnagel ein Projekt „von und mit Darstellerinnen der älteren Generation“. Unter Elke Kloses Leitung und Wolfgang Stockmanns Regie gelang mit Wohin denn ich? eine oft komische, zugleich anregende Auseinandersetzung mit Theater und eigener Biographie, gemischt mit Phantasie und Spielfreude.

Fünf Frauen spielen Theater. Sie nehmen Rollen an, um Phantasie und eigene Identität vermischen zu können, vermutlich auch um ohne Scheu Eigenes zeigen zu können. Sophia (Ingeborg Bullert) möchte ein literarisches Theater, immer wieder setzt sie sich auf einen Stuhl und rezitiert. Dann ist sie die trauernde Witwe, die sich nur über den toten Gatten definiert. Elsa (Ortrud Giller) demonstriert dagegen die neue Selbstständigkeit. Sie ist die flippigste Figur — „Zum Tanzen bin ich zu dick“ —, revoltiert bei den Proben zur Szene „Alten-WG“: „Draußen brennt die Welt und wir streicheln Kaninchen“, ein politisches Theater muß her. Dabei hatte sich Isabel (Inge Rengier) als Regisseurin der Szene alles so harmonisch vorgestellt. 1944 war sie Arbeitsdienstführerin, „aber ich war nie politisch. Ich habe nur Rollen gespielt.“ Heike (Ursel Kesler) lehnt die Atemübung, das therapeutische Schreien ab: Einmal habe sie so geschrien, daß sie drei Tage heiser gewesen sei. Zwischendurch denkt sie schon an den Zivi, der sie irgendwann besuchen und aufs Klo tragen wird. Illusa (Luise Pfarr) ist fürs Tanztheater, schon zuvor tänzelte sie zu „Girls, Girls, Girls“ .

Das Zusammentreffen dieser Figuren macht Spaß, besonders wenn sie sich gnadenlos anzicken. Die Bruchstücke ihre Biographien machen neugierig, regen an, die Rollen weiterzuspinnen. Der Tod, sonst eher ausgegrenzt, vermittelt sich in dem erschreckend-ergreifenden Schluß, eine Reprise des Anfangs. „Elsa, hast Du meinen Schminkstift?“ Das Spiel beginnt von neuem, doch es stimmt nicht mehr: „Wo ist Heike?“ Keine Antwort, nur schmerzendes Schweigen.

Niels Grevsen