Plötzlich ist der Rathausstuhl futsch

■ Völlig neue Erfahrungen für Hamburgs CDU: Die Basis hat Widerworte

Der Meilenstein in der Geschichte der Hamburger CDU wird mit einem Tag Verzögerung gesetzt. Die Journalisten sollten sich später darauf einigen, daß es genau 11.28 Uhr an diesem Samstag war, als sich bei der Vertreterversammlung der Union Unerhörtes ereignete.

Entgegen dem Vorschlag des einst allmächtigen 17er Wahlausschusses der Union wählen die 240 Delegierten den Hochschullehrer Ulrich Karpen auf den Listenplatz 30 für die Bürgerschaftswahlen und ziehen der eigentlich dafür vorgesehenen Blankeneser Ortsvorsitzenden Birgit Stegmeier den schon sicher geglaubten Rathausstuhl weg. Ungläubigkeit, dann verhaltener Jubel im altehrwürdigen Reimarus-Saal der Patriotischen Gesellschaft. Und Irritation.

Versammlungsleiter Joachim Lampe unterbricht die Sitzung, will dem 17er-Ausschuß Gelegenheit geben, die neue Lage zu sondieren. Murren, vereinzelte Buh-Rufe. Sollte die Führungsclique der Union doch wieder versuchen, die alte Ordnung wiederherzustellen? Sie versucht es nicht. Angefeuert vom Harburger Delegierten Volker Rühe (“Mach das nicht, Dirk“) schwört Parteichef Dirk Fischer das Gremium darauf ein, jetzt keinen neuen Vorschlag zu machen, nicht zu versuchen, Stegmeier erneut auf die Liste zu heben. „Das hätte auch Revolution gegeben,“ raunt ein Unionsvorständler, die Stimmung im Saal taxierend.

Dabei hatte es am Tag zuvor noch ganz danach ausgesehen, als wollte die Vertreterversammlung alles daran setzen, das Neuwahl-Urteil des Verfassungsgerichts ad absurdum zu führen. Die Richter hatten darin festgestellt, daß „bei einem demokratischen Kandidatenfindungsverfahren (der CDU) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens teilweise andere Personen als Kandidaten und dann auch in die Bürgerschaft gewählt worden wären“.

Trotz neuer Satzung: Problemlos setzen sich die Fischers, Kruses, Willichs durch, wird die Gegenkandidatur des NDR-Redakteurs Ulrich Wettmarshausen mitleidig belächelt. „90 Minuten für zehn Kandidaten,“ rechnet Landesschatzmeister Gunnar Uldall zufrieden vor, „daß heißt neun Minuten im Schnitt.“ Alles fast wie früher.

„Es ist für viele von Ihnen nicht leicht, gegen die Liste zu stimmen,“ resümiert Ulrich Karpen am nächsten Morgen in seiner Vorstellungsrede. Und behält zunächst einmal recht. Wenn auch knapp, unterliegt er im ersten Anlauf dem vom Wahlausschuß vorgeschlagenen Andreas Mattner, für den sich eine ganze Kohorte von Unionsfunktionären stark macht.

Ein Kraftakt, der in den nächsten Wahlgängen nicht wiederholt werden kann. Karpen schafft's im zweiten Anlauf, der Meilenstein ist gesetzt. Die Vertreterversammlung findet Gefallen am Denkzettelausteilen. Im Visier vor allem der für's Kungeln bekannte CDU-Kreis Altona, Heimat von Ex-Parteichef Echternach. Nach Stegmeier fällt auch noch Kreisgeschäftsführer Peter Schmidt durch. Nominiert wird an seiner Stelle die Frauen-Unions-Vorsitzende Karen Koop.

Alle Bemühungen der Altonaer Kreisfürsten um Jürgen Echternach und Peter Tucholski, ihre Kandidaten doch noch durchzusetzen, scheitern. Zweimal, dreimal treten die beiden erneut an, die Daumen bleiben unten. Die Verfassungsrichter dürfen sich bestätigt sehen, auch wenn sich längst nicht alle mehr oder weniger selbsternannten „Reformer“ durchsetzen können. Madeleine Göhring zum Beispiel fällt ebenso durch wie JU-Chef Klaus Peter Hesse, dessen Kritik an Parteichef Fischer den meisten Delegierten doch zu heftig ausgefallen war. Reform hin, Denkzettel her, ein bißchen Parteiräson kann auch an historischen Tagen nichts schaden. Uli Exner