Neulich...

■ ...in der SB-Waschanlage

Neulich...

... in der SB-Waschanlage

„Durch diesen Staub ist schon Erich Mühsam geschlufft,“ mahnt eine Stimme in mir, aber es ist zu spät: Heißes Wasser schießt aus der Lanze, die Schaumbürste schäumt — der Urlaubsdreck schwimmt dahin. SB-Autowaschen heißt, der Vater springt mit Hochdruckschläuchen herum und wird naß, die Familie sitzt im Trockenen und lacht. Dabei kommt sich der Vater nicht lächerlich vor.

Eine Herausforderung also! Die man perfekt besteht, wenn man nach dem Programm „Klarspülen“ noch für drei Mark „Heißwachsen“ und „Glanztrocknen“ spendiert. Ist man da durch, hat noch ein bißchen staubgesaugt und Fußmatten geschüttelt, passiert normalerweise dies: der Himmel, Häuser und der stolze Autobesitzer spiegeln sich im Lack, und verbliebene Resttropfen perlen ab. Normalerweise.

Die Limousine rollt auf die Straße, doch was ist das: der Lack ist stumpf! Tropfen perlen nicht ab, ja nehmen nicht einmal Perlenform an. Kurz, der Wagen wirkt ungewaschen. Aber sieh an, wer da steht: der Servicemann der Waschanlagen-Kette. Wie gerufen steht er da. Der Servicemann dreht nicht nur an Ventilen und wechselt Dichtungen aus; er stellt den einzigen leibhaftigen Kontakt zwischen Konzern und Kunden her. Mit seinen Servicefingern reibt er an meinem Lack und sieht mich keinesfalls feindselig an. Keinesfalls! Eher unbeteiligt.

Heißwachsmangel? Maschinenschaden? Lege ich nahe. Der Servicemann sieht mich (zurecht) an, als gäbe es Drängenderes auf der Erde. Ich sehe urlaubsmäßig entspannt und grenzenlos geduldig zurück und lege ihm einen zweiten Versuch nahe. Tatsache: er willigt ein.

Die Familie im Wagen: gefaßt, belustigt. Ich: halte die Lanze. Er: „Halten Sie mal!“ Programmiert „Heißwachsen“ und verschwindet im Maschinenraum. Viel heißes Wasser läuft über den sauberen, wenngleich stumpfen Lack. Ich habe Zeit.

Es steht ein Mann mit einer Hochdruck-Wasserlanze in einer SB-Waschanlage und reinigt den Fußboden. Seit fünfzehn Minuten. Der Servicemann taucht immer wieder kurz auf, um Geld nachzuwerfen. „Halten Sie noch mal!“ Er macht seine Arbeit, seine Laune wird weder besser noch schlechter. Der Mann mit der Lanze hat seinen letzten Urlaubstag. Warum soll er da keine Lanze halten? Die Familie ist still geworden.

Der ganze Boden ist sauber, ich denke über Zen nach, da ist der Servicemann fertig. „Fertig!“ sagt er tonlos, und dann, vorwurfsvoll: „Da war Luft in der Anlage, das konnte ja auch nicht gehen!“ Ich bin zenmäßig noch nicht so weit, es hat sich nun doch Ärger angestaut in mir. Ein Zoni? Ein törichter Mensch? Aber aller Ärger wird verdrängt durch eine Frage, die mir kommt, als endlich heißer Wachs übers Auto schießt und schon Glanz aufzieht: Wer, frage ich mich, wer von uns beiden wird sich jetzt bedanken?

Wer die Frage stellt, hat schon verloren. Natürlich bedanke ich mich. Ohne eine Spur von Ironie. Der Servicemann ist ein Heiliger. Oder nicht? Die Mutter kurbelt das Fenster herunter und formt mit ihren Lippen einen schrecklichen Verdacht: „Hape Kerkeling!“ Ich werde steif vor Schreck. Natürlich stehen irgendwo versteckte Kameras, ein lachender Publikumsliebling wird mit ausgebreiteten Armen den Trottel zum Star machen, und ich werde Spaß verstehen.

Es passiert nichts. Habe ich zu widerstandslos mitgemacht? Wird der Mitläufer vom Leben doppelt bestraft?

Eine dunkelrote Limousine fädelt sich in den fließenden Verkehr der Kleinstadt ein. Im Inneren wird gelacht. Es ist der letzte Urlaubstag. Resttropfen perlen vom Lack ab, wie sie noch nie abperlten. Burkhard Straßmann