Sanssouci: Vorschlag
■ Fluxus-Filme im Arsenal
Auf der Leinwand leuchten die Ziffern Eins bis Sechzig in sekundenschneller Abfolge auf. Dann liest man „1 min“. Ein Gutteil des Publikums verläßt jetzt den Saal, denn der Film hat den Titel „9 Minutes“, und es erscheint unwahrscheinlich, daß einen dieses schnell erkannte Muster, das James Riddle im Jahr 1966 ins Werk setzte, über die volle Zeit in Bann schlagen wird. Zu den Einzelbildaufnahmen einiger Seiten aus einem Sears-Katalog „Sears Catalogue 1-3“, den Einzelbildaufnahmen von Punktrastern „Dots 1 and 2“ und den Einzelbildaufnahmen von einer in der Hand gehaltenen Rasierklinge „Wrist Tricks“, alles in allem zwei Minuten Film von Paul Sharits, ist der Kinosaal im Martin- Gropius-Bau wieder gut gefüllt. Ein durchaus Fluxus-mäßiges Verhalten, Bewegung in die Sache zu bringen, die „Filme der Fluxus-Bewegung“ heißt. Deren Stillegung allerdings in der Archivierung, der Durchnumerierung der verzeichneten Filme, der Benennung der Provenienz der Sammlung überdeutlich ist. Zwar gelang es Fluxus tatsächlich lange Zeit vergessen zu sein, doch dann wurde Jonas Mekas Film „Zefiro Torna or Scenes from the Life of George Maciunas“ (1992) in Oberhausen preisgekrönt, und die Zusammenstellung der Fluxus-Filme, die am vergangenen Mittwoch im Martin-Gropius-Bau liefen, nennt sich „Knizak Print“ und wurde ebenfalls 1992 von Joe Jones und Benjamin Patterson mit Musik versehen. Die Opposition von Fluxus gegen die institutionalisierte Kunst endet also doch als solche. Den Begriffsapparat, der diese Beerdigung erster Klasse von Beginn an förderte, lieferte Fluxus allerdings selbst, 1962, als die ersten Neo-Dada-Veranstaltungen wie Happenings, Action Music, Performances, Environments, Antiart und Decollagen stattfanden. Die Fluxus-Filme folgen dem Prinzip des évenment trouvé (anstelle des Duchampschen objet trouvé), das wiederum in der Form des monomorphic event einherkommt, wie es George Maciunas, Hauptprotagonist von Fluxus, bezeichnete. Das erweist sich in der Abfolge von 31 kurzen und kürzesten Filmen als reduktionistisches, minimalistisches Schema, das amüsante und verblüffende, aber auch zäh lastende Effekte zeitigt. Die konkreten Filme zeigen, was sie ankündigen: „10 Feet“ von George Maciunas ist ein Filmstreifen von zehn Fuß Länge; sein „End after 9“ ist zu Ende, wenn die Zahl 9 erreicht ist; John Cales „Police Car“ zeigt die blau-blinkenden Lichter eines Polizei-Autos, und in der Filmversion von George Brechts berühmtem „Entrance/Exit“-Spiel verändert sich die schwarze Leinwand (entrance) durch alle Grauwerte hindurch, bis sie weiß ist (exit). Yoko Ono immerhin gewinnt diesem Minimalismus Dramatik und Drastik ab. In „Number One“ ist das Aufflammen eines Streichholzes mit einer High-Speed-Kamera aufgezeichnet und in eine grandiose Explosion von fünf Minuten Dauer zerdehnt. „Number 4“ zeigt nackte, bewegte Ärsche in der Großaufnahme. Brigitte Werneburg
Am 4. Juli ist im „Arsenal“, Welserstr. 25, die „Anthology Film Archives“-Abfolge der Fluxus-Filme (ohne Musik) zu sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen