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Rote Rosen für den Einwanderer

■ SPD wählt den Deutschtürken Hakki Keskin zum Bürgerschaftskandidaten. Einwanderer kritisieren Demokratie-Defizit der Kandidatenkür. Von Florian Marten

Bürgerhaus Wilhelmsburg, Sonntagnacht, 22.27 Uhr: Stadtchef Henning Voscherau und Innensenator Werner Hackmann hält es nicht mehr auf ihren Sitzen. Achteinhalb lange Parteitagsstunden lagen hinter ihnen. Demokratie im 10-Minuten-Takt. Erstmals stimmte die SPD jede KandidatIn einzeln ab. Namensaufruf, Frage nach Gegenkandidaten (bis auf drei Ausnahmen vergeblich), kurze persönliche Vorstellung, 320 Stimmzettel einsammeln und auszählen. Das Ergebnis. Kurzer Beifall. Der Nächste bitte!

Langeweile und Warten bis endlich um 22 Uhr 27 Hakki Keskin, Sozialdemokrat seit 1975 und seit Februar 1993 Inhaber eines Bundespersonalausweises, ans Pult tritt. Hackmann wippt nervös auf den Zehenspitzen. Voscherau steht stramm. Nach achteinhalb Stunden Lärmteppich herrscht plötzlich angespannte Aufmerksamkeit.

Und Hakki Keskin - brilliert. Eine klare konzentrierte Rede, die Hackmanns Schuhe zum Stillstand bringen. Keskin: „Ich stehe in voller Loyalität zu Deutschland und unserer schönen Stadt Hamburg.“ Voscheraus Züge entspannen sich. „Für einen Vorzeige-Türken oder Ausländer bin ich der falsche Mann. 14 Prozent der Hamburger sind Einwanderer, die sich hier niedergelassen haben und hier auch dauerhaft leben werden. Auf Dauer wird der soziale Frieden in dieser Stadt gefährdet wein, wenn ein so großer Teil der Bevölkerung ohne staatsbürgerliche Rechte leben muß.“ Die SPD müsse politischer Vorreiter sein in einem Land, „das längst ein Einwanderungsland geworden ist, auch wenn dies manchem nicht paßt.“

Prasselnder Beifall, rote Rosen von Henning Voscherau und ein klarer Abstimmungssieg über den Verlegenheitsgegenkandidaten Nicolas Abou-Tara versetzen die SPD in kollektive Hochstimmung: Von 319 Stimmen entfielen 254 auf Keskin. Die Kritik von Kurden, die Keskin die Fähigkeit zur Vertretung aller Ausländer absprechen, weil er türkische Staatsinteressen über die Solidarität mit den unterdrückten Kurden stelle, spielte nur eine untergeordnete Rollen, nachdem es dem SPD-Establishment gelungen war, den sozialdemokratischen Kurden Jusuf zum Verzicht auf eine Gegenkandidatur zu bewegen.

Heftige Vorwürfe von sozialdemokratischen Einwanderern mußte sich allerdings der SPD-Landesvorstand anhören, der Keskin gegen das Votum des SPD-Arbeitskreises Ausländer nominiert hatte. SPD-Chef Frahm nahm die Kritik an und entschuldigte sich für den „Anachronismus“ des Nominierungsverfahrens. Diesem Anachronismus hatte zuvor die Parteitagsbasis ausgiebig gefrönt: Alle vorgeschlagenen KandidatInnen kamen brav durch, es wurden aber Denkzettel verteilt. Bonnsenator Peter Zumkley, Bürgerschaftspräsidentin Elisabeth Kiausch und Bausenator Eugen Wagner wurden mit miserablen Stimmergebnissen knapp oberhalb der erforderlichen 50 Prozent abgestraft. Die Partei, so zeigte sich, ist ein deutliches Stück weiter nach links gerückt, hielt sich aber brav an die Vorgaben ihrer Oberen: „Zwei rechts, zwei links, keinen fallen lassen.“

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