Herrlich verirrt oder Bremer Elbe

■ „Städtequartett“: TheatLit schickt Frauen auf verwirrenden Stadtrundgang

Acht Frauen laufen und fahren am Sonntag nachmittag kreuz und quer durch Bremen. Nichts besonderes auf den ersten Blick. Trügen sie nicht die merkwürdig großen Pappkartons vor sich her, die mit Ausschnitten Hamburger Stadtkarten beklebt sind. Immer wieder schauen die Frauen suchend darauf. Sie sind Mitspielerinnen beim „Städtequartett“ — einem Projekt, mit dem das TheaLit den ersten Teil seines Projektes „Künstliche Führungen - Konzept Art von Frauen“ abschließt.

Wie machst du das, in Bremen zu sein und so zu tun, als seiest du in Hamburg? Das nämlich sollst du spielen — so tun, als gelte der Hamburger Stadtplan für Bremen. In gemeinsamer Arbeit sollen die Teilnehmerinnen bekannte Wahrnehmungsstrukturen durchkreuzen: Mit „Verfremdungsmitteln“ sollen die Frauen die unmittelbare Wirkung ihrer geographischen Umwelt spielerisch in Erscheinung bringen. Die Grundlage dieser Idee liegt in Praktiken des „Situationismus“, einer Kunstrichtung im Paris der 50er und 60er Jahre. Anschauliches Beispiel für Situationismus im Alltag ist das „Umherschweifen“: eine „mit den Bedingungen der städtischen Gesellschaft verbundene experimentelle Verhaltensweise oder Technik des beschleunigten Durchgangs durch verschiedenartige Umgebungen“ (so zitiert im TheaLit-Programmheft).

Vor dem Start bekommt dann auch jede Frau von der Initiatorin einen Proviantbeutel in die Hand gedrückt. Inhalt: Ein erspieltes Quartett Stadt(plan-Ausschnitts)karten, eine drollige Plastikkamera, Schokoriegel, Schere und Klebstoff sowie eine Hamburg- Postkarte. Die soll unterwegs beschriftet und an TheaLit geschickt werden. Und „um keine Probleme beim Verorten der Karten zu bekommen“, so Initiatorin Andrea Sick, wird ein kleiner Kompaß mit auf den Weg gegeben.

Die Teilnehmerinnen sollen mit Hilfe dieser Utensilien die acht Bremer Veranstaltungsorte des seit April laufenden Konzept-Art- Projektes aufsuchen und auf ihrer Karte dokumentieren. Die Psychogeographie des Gesamtprojektes soll auf diese Weise sichtbar werden. Nach anderthalb Stunden treffen die Frauen sich am Ausgangsort wieder. Manche Ergebnisse sind kurios. So liegt der Bremer Bahnhof plötzlich ganz in der Nähe der Hamburger Außenalster und das Museum Weserburg direkt an der Elbe. Und weil eine auf ihrem Kartenabschnitt, auf dem sie das TheaLit einzeichnen soll, keinen Flußlauf findet, wird eine Hamburger Hauptverkehrsstraße kurzerhand zur mittlerweile trockengelegten Weser.

Eine Hamburgerin hat sich „herrlich verirrt“: Sie habe versucht, sich auf Hamburgkarten und Kompaß zu beschränken und Bremen so auf Hamburger Wegen zu entdecken. An „wunderbare Orte“ sei sie dabei gekommen. Und dies hat sie auf ihren Karten dokumentiert: Wunderwelten, auch Werbung oder Graffitis von Wegrand-Mauern. Inmitten der Karten der anderen ergibt sich daraus ein neues Quartett. Wozu? Zum Spielen vielleicht, zum erneuten Umherschweifen, zum Verirren oder Verwirren. Martina Burandt