„Situation ist deprimierender denn je“

In der Flüchtlingsbewegung herrscht angesichts der am 1. Juli in Kraft tretenden Asylrechtsänderungen Katerstimmung / Mehr Illegale und weniger Möglichkeiten zur Unterstützung  ■ Von Ulrich Jonas

Als im Jahr 1986 der Berliner Innensenator Kewenig den Abschiebestopp für libanesische Flüchtlinge aufhob, formierte sich Widerstand: Auf Initiative der AL wurde die „Aktion Fluchtburg“ ins Leben gerufen, in deren Rahmen die Flüchtlingsbewegung Menschen durch mehr oder weniger öffentliches „Verstecken“ vor der drohenden Abschiebung schützte. Seitdem haben Berliner Kirchengemeinden immer wieder von lebensgefährlicher Abschiebung bedrohten Asylbewerbern „Kirchenasyl“ gewährt, Flüchtlingsiniativen an Flughäfen Blockaden durchgeführt und in vielen Fällen erreicht, daß diese Menschen in Deutschland bleiben konnten.

Ab 1. Juli könnten solche Akte zivilen Ungehorsams noch bedeutsamer werden als bisher: Dann nämlich treten die neuen Asylgesetze in Kraft, die den Zaun aus Paragraphen um dieses Land herum noch feinmaschiger werden lassen. „Bisher haben wir uns vor allem um Leute bemüht, die das Asylverfahren ohne Erfolg durchlaufen hatten und dann abgeschoben werden sollten, obwohl ihnen Gefahr für Leib und Leben drohte. In Zukunft werden wir darum kämpfen müssen, daß Flüchtlinge überhaupt eine Chance bekommen, ein geregeltes Asylverfahren durchzuführen“, schildert Elisabeth Reese vom „Arbeitskreis Asyl in der Kirche“ die veränderten Perspektiven der Flüchtlingsbewegung.

Viele Flüchtlinge kommen nach Reeses Worten schon heute zu spät in die Beratungsstellen: „Oft haben die schon den Ablehnungsbescheid in der Tasche.“ Mit den verkürzten Verfahrenszeiten – eine Woche Klagefrist beispielsweise bei einem als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnten Asylbegehren – wird sich dieses Problem noch verschärfen. Ein Sprecher der „Antirassistischen Initiative“ berichtete, die FlüchtlingsberaterInnen seien aufgrund der zunehmenden Asylrechtsbeschränkungen „am Verzweifeln“. Es gebe kaum noch Möglichkeiten, Asylbewerbern „halbwegs aussichtsreiche Verfahren zu ermöglichen“. Traute Vorbrot von „Pax Christi“ bestätigt: „Fluchtgründe sind nicht innerhalb von Tagen zu würdigen.“

Weiteres Hindernis: Der Zugang zur „Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber“ in der Streitstraße, in der Flüchtlinge neuerdings auf die Entscheidung über ihr Asylbegehren warten müssen, sei zwar nicht verboten, praktisch jedoch nicht immer leicht für die FlüchtlingshelferInnen zu bekommen, schildert der Sprecher der „Antirassistischen Initiative“ seine Erfahrungen. Nach Einschätzung der Initiative ist „der Betrieb dort darauf ausgelegt, die Asylbewerber in die Falle zu locken“.

Auch an anderer Stelle ist die Flüchtlingsbewegung mehr denn je gefragt: viele der Flüchtlinge wissen nach Reeses Aussage gar nicht, daß nur ein Asylbegehren ihnen eine – wenn auch minimale – Chance eröffnet, nicht sofort zurückgewiesen zu werden. „Wir müßten an den Grenzen präsent sein, dort die Flüchtlinge informieren und beobachten, ob sich die Grenzbehörden korrekt verhalten. Doch dazu fehlt uns jedoch das Potential“, meint die Rechtsanwältin. Der taz vorliegende Berichte von Menschenrechtsgruppen dokumentieren, daß es an deutschen Grenzen nicht immer mit rechten Dingen zugeht: Flüchtlinge berichteten, ihnen seien von Grenzbeamten in Deutsch verfaßte Formulare zur Unterschrift vorgelegt worden, die sich im nachhinein als Einverständniserklärung mit dem Rücktransport in ihre Heimat entpuppten.

Nach Angaben von Volker Ammler, Pressesprecher beim Grenzschutzpräsidium Bereich Ost, wurden in den vergangenen sechs Monaten über 20.000 „Illegale“ an der Ostgrenze aufgegriffen und in ihre Heimatländer zurückgeschoben. Betroffen davon waren in erster Linie Rumänen auf der Basis des sogenannten „Rückführungsabkommens“ zwischen der BRD und Rumänien, unter ihnen viele Roma. Die jedoch „sind politischer Verfolgung ausgesetzt“, weiß Elisabeth Reese aus ihrer Beratungspraxis zu berichten. Für die „Antirassistische Initiative“ sind die neuen Asylgesetze aufgrund der seit einem halben Jahr laufenden Massenzurückweisungen nur „die nachträgliche Legalisierung dessen, was sich seit Ende letzten Jahres an den Ostgrenzen abspielt“, wie ihr Sprecher gegenüber der taz sagte.

Die Stimmung in der Flüchtlingsbewegung ist dementsprechend gedämpft: „Die Situation ist deprimierender denn je“, schildert Vorbrot ihre Empfindungen. Welche Folgen eine Politik hat, die Flüchtlinge in die Illegalität drängt, weiß sie schon heute zu berichten: „Ich kann Straftaten gegen Flüchtlinge nicht anzeigen, weil das für sie die Abschiebung bedeuten würde. Und die Gewalt gegen Nicht-Deutsche wird noch zunehmen.“ Weiteres Problem: Wer sich illegal in Deutschland aufhält – und das wird in Zukunft ein großer Teil Flüchtlinge zumindest zeitweise machen (müssen) – kann auch nicht die ohnehin schon zusammengekürzte Sozialhilfe beanspruchen.

„Jetzt geht es konkret ans Geld, verbale Sympathiebekundungen reichen nicht mehr aus“, meint Vorbrot. Auch an anderer Stelle wird Geld gefragt sein: Nicht wenige Rechtsanwälte halten zumindest Teile der Asylrechtsänderungen für verfassungswidrig. Dagegen klagen können jedoch nur die Betroffenen selbst. „Wir werden das auf jeden Fall finanziell unterstützen, dazu sind wir mehr denn je auf Spenden angewiesen“, sagt die ehrenamtliche Flüchtlingsberaterin. Doch selbst wenn das Geld reichlich flösse: Die FlüchtlingshelferInnen befinden sich angesichts der absehbaren massenhaften Menschenrechts- und Verfahrensmißachtungen in einem Dilemma. Elisabeth Reese: „Ich kann ja nicht Dutzende von Familien ins Kirchenasyl nehmen und dann jeweils am Einzelfall arbeiten.“ Das meint auch der Ausländerbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin- Brandenburg, Hanns Thomä- Venske: „Wir haben überhaupt nicht die Kapazitäten dafür.“ Schließlich sei in seiner Kirche „das Meinungsspektrum ähnlich breit wie in der Gesellschaft.“ Das Kirchenasyl könne nur „zeichenhaften Charakter“ haben. Deswegen hält Thomä-Venske es für erfolgsversprechender, „an Einzelfällen prinzipielle Dinge politisch und juristisch durchzuziehen.“ An Konflikte mit staatlichen Behörden möchte er gar nicht denken: „Das würde uns alles an Handlungsfähigkeit zerstören.“ Ein nicht-öffentliches Verstecken von Flüchtlingen halten die meisten in der Bewegung nach den Erfahrungen der Vergangenheit nur in Ausnahmesituationen für sinnvoll: „Die psychischen Belastungen sind für alle Beteiligten erheblich“, so der Sprecher der „Anitirassistischen Initiative“.

Angesichts der erschwerten Bedingungen erscheint eine Vernetzung der vielen Initiativen und Einzelpersonen – regional wie überregional – notwendiger denn je. „Es ist vielleicht unsere Schwäche, daß wir zu wenig formalistisch sind“, sagt ein Insider dazu. Das bringe Informations- und Zeitverluste mit sich. Zwar haben sich im Berliner Flüchtlingsrat eine Reihe von Aktiven zusammengeschlossen, doch nicht alle fühlen sich in diesem Gremium vertreten. Eine „Verbreiterung“ der Bewegung wünschen sich alle: „Wir brauchen viel mehr Leute, die uns ehrenamtlich unterstützen, BGS-Verwaltungsbeamte und Richter beispielsweise“, analysiert Vorbrot. Das phantasievolle Engagement jedes Einzelnen sei mehr denn je notwendig: „Ich kann mich doch beispielsweise fragen: Zahle ich noch Kirchensteuer oder widme ich das Geld zur Aufnahme von Flüchtlingen um?“ Eine Verminderung der Flüchtlingszahlen erwarten die FlüchtlingshelferInnen nur vorübergehend: „Neue Fluchtwege müssen natürlich erstmal erkundet werden. Flüchtlinge kommen aber, solange es Fluchtgründe gibt“, sagt Vorbrot. Zunächst einmal wird, so die allgemeine Einschätzung, das „Flüchtlingsproblem“ durch die sogenannte „Drittstaatenregelung“ Ländern wie Polen zugeschoben werden. Mit vermutlich fatalen Folgen: „Die sind überhaupt nicht in der Lage, großen Zahlen von Flüchtlingen ein geregeltes Asylverfahren zu ermöglichen.“ Völkerrechtswidrige Abschiebungen seien zu befürchten.