: Bailey und das Negligé
■ Jenseits des Häkelkrimis: Frances Fyfields neuer Roman „Nachtangst“
Die Wetterlage ist wieder einmal so, daß man eigentlich nicht bleiben mag, nicht in diesem Roman: „Langsam kam eine dunstige Sonne heraus, die unter dem grauen Laken des Himmels mehr glühte als schien und ein diffuses Licht verbreitete, das keine Schatten warf.“ Aber das haben sie nun mal von ihrem Wetter, die Briten, und ihre Schriftsteller euphorisieren sich entweder in strahlende Sonnentage hinein und reißen ihren Figuren die Kleider bei jeder sich bietenden Gelegenheit vom Leib, oder sie ducken sich unter eben jenem Himmel und hüllen ihre Geschöpfe in die unvermeidlichen und ewig durchweichten Trenchcoats. Oder es spielt sich gleich alles zwischen vier Wänden ab, während der Regen an den Fensterscheiben herunterläuft.
Was die britischen Kriminalschriftsteller angeht, so entwickelten sie – accordingly – einerseits den heimeligen Häkelkrimi mit präziser Indizienkette, von hinten aufgedröselt, „keiner verläßt den Raum!“; oder eben den Grauschleier-Roman, alle stochern im Nebel, Schritte verhallen im Irgendwo, die Pfeife des Inspektors geht aus.
Nicht mehr vor diese rumpelnden Karren spannen ließen sich in den letzten Jahren allerdings Leute wie Dan Kavanagh (= Julian Barnes), Ruth Rendell, Julian Rathbone und jetzt auch Frances Fyfield, eine 45jährige Juristin, deren Erstling „Tiefer Schlaf“ (1991) bereits großes Aufsehen erregte. Ihr zweiter Roman „Nachtangst“ („Shadow Play“, 1993) hält, was der erste versprochen hatte.
Wieder wird Helen West, eine 35jährige Staatsanwältin mit ersten Erscheinungsformen einer Midlife-crisis, in eine unangenehme, regelrecht eklige Geschichte hineingezogen, und diesmal wird ihr sogar übel mitgespielt, wie überhaupt kaum jemand körperlich unversehrt aus diesem Roman hervorgeht. „Eklig“ meint, daß die arme Helen West irgendwann im Verlauf der Geschichte von dem stinkenden Logo, der andauernd Bibelstellen zitiert, angefallen und unsanft behandelt wird, womit noch nicht zuviel verraten ist und doch angedeutet sein soll, daß „zimperlich“ an dieser Stelle auch nicht das richtige Wort wäre. Und zwischen diesen beiden Begriffen liegt auch das ganze Spektrum zwischenmenschlicher Beziehungen, das Frances Fyfield hier vorführt, denn wie allen guten Krimiautoren geht es ihr viel mehr um eben diese als um den Fall West und Darvey gegen Logo.
Jeder weiß, daß die großen Projekte der Selbstverwirklichung immer daran scheitern, daß gerade die neuen Schuhe drücken und der Nachtbus vor der Nase wegfährt. Über ähnliche Handicaps hinweg wurstelt sich auch in „Nachtangst“ eine Handvoll mehr oder weniger liebenswerter Mitbürger durch den Alltag, und Frances Fyfield zeigt präzise und mit einem angemessenen Aufwand an Sentimentalität und Einfühlungsvermögen, wie sie sich langsam aufeinanderzubewegen, um schließlich den Punkt zu erreichen, wo sich, wie erwartet, die Bösen von den Guten scheiden.
Rose Darvey, eine hübsche junge Angestellte aus der Anklagebehörde, hat ein freches Mundwerk und schlägt immer mal wieder über die Stränge. (Sie wissen schon: die Männer.) Deshalb bekommt sie Schwierigkeiten, und Helen West sieht sich gezwungen, ihr etwas unter die Arme zu greifen, was zu ziemlichen Auseinandersetzungen mit Logo führt, der Dreck am Stecken hat und ein Geheimnis mit sich herumschleppt, das an dieser Stelle nicht verraten werden darf.
Darüber hinaus wird die Leserschaft, wie schon in „Tiefer Schlaf“, auch hier wieder ausführlichst über die enge Beziehung Helen Wests zu Detective Superintendent Bailey ins Bild gesetzt, allerdings schreckt Frances Fyfield diesmal nicht davor zurück, sie einer großen anderweitigen Versuchung Baileys beiwohnen zu lassen (Negligé!). Das Ende des Romans gipfelt in einem fulminanten Showdown.
Sollte man in Hollywood auf die Idee kommen, diesen brillanten Roman zu verfilmen, schlagen wir folgende Besetzung vor: Helen West – Helen Mirren; Bailey – John Hurt; Rose Darvey – Bridget Fonda; Logo – Ned Beatty. Und für den Fahrstuhl im Gebäude des Crown Prosecution Service sollte man unbedingt auf einen Paternoster zurückgreifen. Günter Grosser
Frances Fyfield: „Nachtangst“. Roman. Aus dem Englischen von Pociao (hervorragend übersetzt!). Hoffman und Campe 1993, 333 Seiten, 37 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen