Mit Methadon gegen die Drogensucht

Die Ersatzdroge hat sich bisher am besten bewährt / Geringere Rückfallquoten und weniger Tote / Krankenkassen sperren sich gegen Ausweitung des Angebots: Sie fürchten die Kosten  ■ Von Marcus Seibert

„Es ist eine unerträgliche Situation, daß es ein Drogenelend gibt, daß es auch Therapien dagegen gibt, die inzwischen gesetzlich abgesichert sind, daß immer mehr politische Gruppierungen diese unterstützen, die traditionellen Kostenträger sich aber weigern zu zahlen, weil sie durch die Kostenexplosion insgesamt beunruhigt sind.“ Der Landesdrogenbeauftragte von Nordrhein-Westfalen, Hans Adolf Hüsgen, Mitinitiator der „Zweiten internationalen Substitutionstagung“ in Köln, verdeutlichte nur am Rande der Konferenz, was politisch noch erreicht werden muß, um endlich die Erfolge der wissenschaftlichen Substitutionsprogramme umzusetzen.

Etwa 1.000 MedizinerInnen und Drogenfachleute, aber auch VertreterInnen der Versicherungsanstalten informierten sich Anfang Juni einen Tag lang über die weltweit neuesten Entwicklungen der Substitutionstechniken in der Drogentherapie. Zum Auftakt berichtete Jeff Ward über US-amerikanische und australische Substitutionsprogramme. In den USA wurde Substitution Anfang der 80er Jahre zu einem festen Bestandteil der Gesundheitspolitik, als sich Aids epidemisch auszubreiten begann, vor allem unter den Heroinabhängigen, die gemeinsam eine Nadel benutzten. 27 Prozent der amerikanischen Junkies sind heute HIV-positiv. Außerdem liegt die Rate der an Hepatitis C erkrankten bei 85 Prozent. Neuinfektionen können generell – das belegen alle Studien – mit Substitutionstherapien weitgehend verhindert werden: Nadeltausch und Prostitution, aber auch Beschaffungskriminalität und Opiatmißbrauch werden erfolgreich eingedämmt. Schadens- bzw. Leidensbegrenzung ist die Devise der Substitutionspolitik. Sie richtet sich vor allem an die therapieresistenten Heroin-VeteranInnen, die größte Risikogruppe unter den FixerInnen und auch die, die am schwierigsten zu resozialisieren ist. Die Sterblichkeitsrate liegt hier 22- bis 65mal höher als bei NormalbürgerInnen. In der Substitution sinkt sie immerhin auf den Faktor acht.

Unterschieden werden in der Fachwelt zwei verschiedene Substitutionsverfahren: Methadongestützte Entgiftung sieht Medikamenteinsatz nur für die akute Entgiftungsphase von drei bis sechs Wochen vor. Substitution, so wie sie heute in Deutschland praktiziert wird, setzt dagegen auf psychotherapeutische Betreuung und langfristig hohe Dosen, die ambulant verabreicht werden. Eine vollständige Abstinenz läßt sich mit dieser Therapieform allerdings nur schwer verwirklichen. Studien des letzten Jahrzehnts zeigten, daß mit acht Jahren Therapie zu rechnen ist, bis eine PatientIn auch von Methadon clean ist.

In einer US-weiten Studie konnten J.C. Ball und A. Ross jedoch 1991 nachweisen, daß Abbruch- und Rückfallquote von der Höhe der Dosierung abhängen: je mehr Methadon, desto weniger Versuche, nebenher andere Drogen zu konsumieren. Im Laufe des Folgejahres wurden bei medikamentgestützten Entgiftungen etwa 70 Prozent der PatientInnen rückfällig. Anders in Langzeitsubstitutionen, wo die Rückfallquote langfristig unter 30 Prozent liegt. Deshalb ist man in vielen Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz und Österreich, ganz von Kurzzeitsubstitutionen abgekommen, die nicht auf Abstinenztherapien in Reha- Kliniken vorbereiten.

Methadon hat sich unter den verschiedenen Substitutionsmitteln am besten bewährt, weil es lange vorhält und keine kritischen Nebenwirkungen hat. Hydrokodein zum Beispiel verträgt sich nicht mit Alkoholkonsum. Einige PatientInnen sind an Atemstillstand gestorben.

Mit Morphinen und Nalltrexon wird noch experimentiert. Neu auf dem internationalen Markt – Professor Wolfgang Poser aus Göttingen wies darauf hin – ist der in Deutschland nicht zugelassene Methadonabkömmling LAAM (L-alpha-acetylmethadol). Das Medikament wirkt ähnlich wie Methadon, hält aber bis zu drei Tagen vor. Ideal also für die Substitutionstherapie der Zukunft.

Flächendeckende Substitutionsangebote gibt es inzwischen in den USA, Australien, Holland, Österreich, der Schweiz, nicht aber in Deutschland. Hierzulande setzt sich die Überzeugung, daß Substitutionsbehandlungen ein wirksames Mittel gegen das Elend langjährig Abhängiger darstellen, zu einem wirtschaftlich ungünstigen Zeitpunkt durch. Umsetzungen scheitern außerdem vielfach an rivalisierenden Landesverbänden oder Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund, Ländern und Städten. Nur 4.000 bis 6.000 PatientInnen werden bundesweit wirklich substituiert, ein Großteil bei niedergelassenen ÄrztInnen. Sinnvoll zu substituieren wären aber nach allen Erfahrungen 10 bis 25 Prozent der Abhängigen; bei etwa 350 Süchtigen pro 100.000 EinwohnerInnen wären das zehnmal so viele.

Niedergelassene ÄrztInnen können zwar die medikamentöse Versorgung sichern. Oft läßt der Praxisbetrieb aber keine ausreichende psychosoziale Betreuung zu. Psychiatrische Untersuchungen, die Professor Markus Gastpar aus Essen vorstellte, zeigen: Bei etwa zwei Dritteln der SubstitutionspatientInnen liegt eine „psychogene Zweitdiagnose“ vor. Das heißt, sie leiden an psychischen Krankheiten und Persönlichkeitsstörungen, die Mitursachen der Sucht sind und durch das Suchtverhalten kaschiert werden. Sie lassen sich überhaupt erst behandeln, wenn – wie das mit Methadon möglich ist – Sucht in kontrollierte Abhängigkeit umgewandelt werden kann. Optimal ist die Versorgung, wenn die notwendige psychosoziale Betreuung mit der Methadonvergabe unter einem Dach erfolgen kann.

Auf der Podiumsdiskussion am Nachmittag erklärten die politischen VertreterInnen der Städte wie auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Franz Müntefering für seine Landesregierung erwartungsgemäß ihren Willen, Substitutionstherapien voranzubringen. Nur die KassenvertreterInnen sangen, statt auf die Fragen zu antworten, die aus dem Plenum kamen, ein Loblied auf die klassischen Reha-Kliniken und beteuerten ansonsten, es sei alles sehr interessant gewesen.