Menschen, digital auseinandergenommen

■ Computergrafik im Dienst der Medizin / Operation am Terminal

Der aufgeschnittene Menschenkopf mit elektronischem „Werkzeugkasten“

Auf dem Bildschirm dreht sich langsam ein menschlicher Kopf. Plötzlich ist der Schädel gespalten; blau leuchtet das Gehirn, von feinen roten Äderchen umsponnen. Einen Augenblick später ist ein Segment aus dem Hirn herausgetrennt. Die weißen Augäpfel glotzen blind in die Gegend. Am Rande des Bildschirms erscheint eine Leiste, die

hier bitte die

Computergrafik vom

Kopf

Erklärungen und Computerbefehle enthält. Im Gehirn tauchen Diagramme mit Informationen über Blutversorgung und Funktionen auf.

Was klingt wie ein Computerspiel für Dr. Frankenstein ist der letzte Schrei für Medizinstudenten, Radiologen oder Chirurgen. Mit Hilfe von Computergrafik kann der menschliche Körper

nach Belieben auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden, können Operationen simuliert werden und es kann auch bisher Unmögliches versucht werden. Und alles, ohne daß ein Tropfen Blut fließt.

Am Montag war Karl-Heinz Höhne, Professor vom Institut für Mathematik und Datenverarbeitung in der Medizin aus der Hamburger Uniklinik Eppendorf zu Besuch in Bremen. Beim „Tag der Offenen Tür“ des „Centrums für Complexe Systeme und Visualisierung“ demonstrierte Höhne die Ergebnisse seiner Forschungsgruppe.

Wenn Mediziner bisher in einen Menschen gucken wollen, ohne ihn dafür extra aufzuschneiden, gibt es drei Möglichkeiten: Röntgen, Computer- oder Kernspintomographie. Die Nachteile dabei: Die Tomographien bilden nur Durchschnitte des Körpers ab, und bei Röntgenbildern trainiert eine ganze medizinische Zunft, die Radiologen, die schwierige Interpretation der Bilder. „Aber ein perspektivisches Bild des Körperinneren gibt es nur bei den Präparations-Kursen der Mediziner“, klagt Höhne. „Leonardo da Vinci hätte in seinen berühmten medizinischen Skizzen auch kein Röntgenbild gemalt.“

Fast ein Jahr hat eine Arbeitsgruppe gebraucht, alle Daten für Kopf und Schädel in einem Programm zusammenzutragen. Herausgekommen ist die scheinbar unbegrenzte Möglichkeit zur Simulation von Manipulationen am Kopf. Schicht um Schicht können Studierende abtragen, um den Aufbau des Schädels zu lernen. Per Bildschirmtaste können sie eine Hirnoperation vortäuschen, noch bevor sie auf lebende Patienten losgelassen werden. Auch das Skelett können sich die Lernenden oder Ärzte vor einer Operation genau ansehen; durch die Kapazitäten des Rechnerprogramms ist es selbst möglich, Verletzungen zu untersuchen, die es noch nicht gegeben hat. Wo sonst verschwindet von einem Bein in einer Sekunde das Fleisch und legt die Knochen bloß.

„Der Vorteil dieser Methode ist, daß wir ohne Risiko für den Patienten am lebenden Organ lernen können“, meint Höge. Probleme machen den medizinischen Datensammlern noch die realisitische Darstellung eines menschlichen Fötus im Mutterleib und eines schlagenden Herzens. Und natürlich ist die schöne neue medizinische Welt ein teurer Spaß: die Arbeit an dem Programm setzt bisher noch einen 20.000 Mark teuren Arbeitsplatz voraus. Für die nächste Zukunft werden Medizinstudis deshalb wohl doch noch auf die guten alten Lehrbücher zurückgreifen müssen. Bernhard Pötter