Kanal: Demokratie ist gefährdet

■ Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde kritisiert Einzeltäterthese der Politiker und mangelndes Engagement

Die rechtsextremistische Gewalt in Deutschland gefährde die Demokratie insgesamt, sagte gestern der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Jerzy Kanal. Die von den Politikern immer noch gerne verbreitete Einzeltäterthese verschleiere und „verharmlose“ diese große gesellschaftliche Bedrohung und wiege die Rechtsradikalen in Sicherheit. „Sie organisieren ihre Aktivitäten nicht einmal mehr konspirativ“, sagte Kanal, in jeder Kleinstadt gebe es eine funktionierende rechte Infrastruktur.

In Abwandlung eines Zitats von General Clay nach dem Kriege, wonach die Demokratie in Deutschland daran gemessen werden muß, wie die Juden behandelt werden, möchte er als Kriterium sehen, „wie die Juden sich hier fühlen“. Und die seien besorgt: „Als jüdische Minderheit in Deutschland beobachten wir mit geschärftem Sinn die Diskriminierungen und Angriffe auf andere Minderheiten“, sagte Kanal. Viele Juden der jüngeren Generation überlegen bereits, ob Deutschland noch das Land sei, „in dem man seine Kinder in Ruhe aufziehen kann“. Kanal bedauerte, daß Aktionen der Bevölkerung, wie zum Beispiel die „Lichterketten“, eingeschlafen sind.

Solidarisch erklärte sich Kanal mit den Roma, die derzeit massiv gegen die Abschiebung ihrer Landsleute nach Rumänien protestieren. Zwar wären ihm andere Protestformen als die derzeitige Besetzung des KZs Dachau lieber, „aber diese Volksgruppe habe das Recht, menschlich behandelt zu werden“.

Zur Situation der Berliner Gemeinde sagte Kanal, daß sie seit der Wende um 3.000 bis 4.000 Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion gewachsen sei. Heute gehören ihr knapp 10.000 Mitglieder an. Die Zahl der Einwanderer sei jedoch seit Anfang letzten Jahres auf 30 bis 40 Menschen pro Monat zurückgegangen. Das Bundesverwaltungsamt in Köln teile Berlin, weil es die „Quote“ schon längst überschritten hat, keine weiteren „Kontingentflüchtlinge“ zu. Insgesamt hat Deutschland bisher 52.000 Juden in Rußland die Genehmigung zur Einreise erteilt, zwischen 25.000 bis 30.000 seien bereits gekommen. aku