Baby, take care

■ „Meine schwarze Seele“: Die Autobiographie der Jazz-Diva Nina Simone

„To Be Young, Gifted and Black“ – es scheint, als wäre diese Hymne des schwarzen Amerika auch als galliges Motto ausgerechnet der Karriere tauglich, die ihre stolze Botschaft um Jahrzehnte vorwegnehmen sollte – und sodann scheiterte; es scheint, als sei die scharfkantige Ruhe dieser Musik nur die in Wahrheit dürftige Verhüllung einer bleiernen Tristesse.

„To Be Young, Gifted and Black“ – dreißig Jahre, bevor „The Amazing Nina Simone“ den Song ihrer Songs auf seinen Weg zum Erfolg schickte, wurde in der Kleinstadt Tryon in North Carolina von der Klavierlehrerin Mrs. Massinovitch der Eunice-Waymon-Fonds gegründet. Mehr als bloß eine besondere Begabung war zu fördern, mehr als bloß ein paar Dollars waren aufzubringen. Es galt, an ein kleines Wunder zu glauben, um einem größeren Vorschub zu leisten. Warum sollte aus der dreijährigen Eunice, Tochter frommer und mittelloser Methodisten, die daheim die Orgelbank erklommen und auf Anhieb Mommas Lieblingschoral ganz ohne Fehler geklimpert hatte, nicht schnurstracks die erste schwarze Konzertpianistin der Welt werden?

Warum Eunice Waymon keine Beethoven- oder Liszt-Interpretin, sondern eine Queen des Blues und des „Jazz-und-noch-mehr“ wurde, warum Momma ihr das nie verzieh und warum sie selbst es irgendwie für „keine große Sache“ hält, Sängerin zu sein, das-und-noch-mehr erzählt Nina Simone in ihrer Autobiographie „Meine schwarze Seele“, die zu ihrem sechzigsten Geburtstag in deutscher Übersetzung vorliegt. Kindheit und Jugend und frühes Liebesleid samt der süßen Last der Talente, Glanz und Elend des Künstlerlebens, Ehe- und Selbstmordversuche, ein paar Anekdoten aus der Beletage der VIPs, dazu gut zwei Dutzend Fotos aus Pressemappen und Familienalben und im Anhang eine Diskographie: Grundsätzlich entspricht der Inhalt dieses Buches ziemlich genau dem, was man an den Schnittstellen von Preisgaben und Promoting erwarten kann. Doch Nina Simone wäre nicht jene enervierende Diva, die nicht selten, nachdem sie ein „I know, you love me, and I love you“ ins Parkett geworfen hat wie ein saures Bonbon, ihren Auftritt mit aller zur Verfügung stehenden offensiven Lustlosigkeit absolviert (so sie nicht schon vor der Zeit den Blicken entschwunden ist), würde sie ihre „Erinnerungen“ in moderatem Ton vortragen.

Im Gegenteil: „Meine schwarze Seele“ ist eine wütende Abrechnung mit der Musikindustrie, mit der Journaille und mit dem Publikum als solchem. Vom Big Business verschaukelt, von der Presse mit erbitternd falschen – und das heißt hier: rassistischen – Etiketten versehen, von hüstelnden, tuschelnden, mit wer weiß was knisternden und knarrenden Konzertbesuchern ohne Respekt behandelt, so sieht sich der Weltstar Nina Simone, wenn es ans Resümieren geht. Was sie ohnehin jeden Morgen als erstes sieht, um es den ganzen Tag nicht zu vergessen, ist, schreibt Nina Simone, im Spiegel ein schwarzes Gesicht.

Sie ist schwarz, und folglich ist ihre Musik schwarze Musik. Nina Simone klagt und höhnt: Wer schon hat je wirklich kapiert, daß ihr musikalischer Background weniger aus Gospels und erdenschweren Sklavenrhythmen besteht als aus der Mathematik der – weißen – Klassik? Bei Mrs. Massinovitch, einer Engländerin, so zierlich wie ein Vögelchen und so schön, daß Eunice sie „am liebsten hochgehoben und in den Mund gesteckt“ hätte, wird Bach gespielt und sonst nichts. Und von „Miz Mazzy“ lernt Eunice, was sie nie wieder verlernen wird: selbst noch die schäbigste Bühne zu betreten „wie ein ägyptische Königin“.

Daß eine bald frenetisch bejubelte Stimme überhaupt jemand anderem zu Ohren kommt als den „pickeligen Teenagern“, denen Eunice Waymon im ersten Stock eines Möbellagers dabei hilft, „wie Frank Sinatra zu klingen“, ist, wenn man so will, einem mäkeligen zigarrerauchenden Barbesitzer in Atlantic City zu danken. Der ist nicht damit zufrieden, daß die kleine Schwarze, die er einen Sommer lang als akustischen Appetizer engagiert hat, nur die Tasten seines Pianos drückt: Du singst, oder du wirst gefeuert.

Vom Curtis-Institut für klassische Musik in Philadelphia aus möglicherweise fadenscheinigen Gründen abgelehnt und dem Eunice-Waymon-Fonds sowie ihrer Kindheit längst entwachsen, ist die Zwanzigjährige gezwungen, ihren vorzüglichen Privatunterricht auch weiterhin auf zweifelhafte Art zu finanzieren: mit Musik, die vom Teufel ist. Weil ihre Familie ihr nicht auf die Schliche kommen darf und weil sie Simone Signoret verehrt, nennt sie sich jetzt Nina Simone. Auf dem Weg vom „Midtown Bar and Grill“ in Atlantic City zur Carnegie Hall in New York geht der Traum von einer ganz anderen Laufbahn verloren: „Ich war immer müde.“ Nicht verloren geht die Überzeugung, „schmutzige“ Lieder zu singen für ein schmutziges Geschäft.

„To Be Young, Gifted and Black“: Allein in den Jahren, in denen Nina Simone für die schwarze Bürgerrechtsbewegung Partei ergreift, fließt, meint sie, so etwas wie ein „Sinn“ in ihre Shows und Alben, in einem Sinne, der mehr wiegt als das Streben nach Vollkommenheit der Klassik. Doch schließlich ist Nina Simone auch von ihren schwarzen Brüdern enttäuscht. Warum haben sie die Tür, die die „Rednecks“ vor ihren Nasen verschlossen hielten, nicht kurzerhand „eingetreten“? Noch vor der Ermordung ihres „dear, dear friend“, Dr. Martin Luther King, wäre sie, so bekennt die Simone, zu gern „zur Killerin geworden“. Doch sie verstand eben nichts vom Töten.

Daß sie vom Singen viel versteht, weiß sie. Daß sie die Gestik der Larmoyanz, mitunter auch der Selbstverachtung, nicht aufgeben kann – obwohl ihre scharfen Attacken ihr (und uns) viel mehr Freude bereiten – macht ihre Autobiographie ab und an zur beschwerlichen Lektüre. Gut zu wissen, daß sie wenigstens zu Zeiten ihres Karriereknicks in den siebziger und frühen achtziger Jahren wohlauf war und zwar – fern der USA, fern der Loser und Betrüger – an den Stränden von Liberia und Barbados. Noch besser zu wissen, daß sie dort Hotelportiers und Premierminister liebte, ohne nachhaltig Schaden zu nehmen, und endlich tagaus, tagein nur noch Bikinis und Stiefel trug, um darin „durch die Gegend zu hüpfen“ und als fröhlich „ausgeflippt“ zu gelten.

Die beste Nachricht aber ist, was Nina Simone, nachdem einer ihrer ersten Songs, „My Baby Just Cares For Me“, in internationale Charts gelangte, heute aus Amsterdam im Schlußwort ihres Buches mitteilt: „Ich bin glücklich.“ Man liest es gern, man kann es nicht glauben. „Meine schwarze Seele“ ist, natürlich, ein Buch für Fans. Esther Röhr

Nina Simone und Stephen Cleary: Meine schwarze Seele. Erinnerungen. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit.

Hoffmann und Campe Verlag 1993, 272 Seiten, 37 DM