Kaffeefahrt in die schöne neue Zukunft

Wenn alles egal ist: Mit dem Zigarettenminister auf Imagetour in New York City  ■ Von Michaela Schießl

Im einzig unklimatisierten Raum New Yorks läßt Laurie Anderson ihr Publikum schwitzen. Dann, endlich, betritt die Ikone der Avantgarde-Kunst ihr Wohnzimmer. Dreißig Gäste bevölkern ihren Loft in der Canal Street, hocken auf dem Holzboden, fläzen auf dem Sofa und fühlen sich ganz wie zu Hause. Gastgeberin Anderson bleibt im Türrahmen stehen. „Herzlich willkommen“, sagt sie mit sanfter Stimme, „was wollt ihr wissen?“ Wenig später schweben ihre Performance-erprobten Hände durch die Luft, um den Duft von Tibet zu beschreiben, die Temperatur des Nordpols. Und, natürlich, den Seelenkonflikt aller erfolgreichen Nonkonformisten: „Irgendwann stellt man sich die wichtigste Frage überhaupt: Will ich wirklich, daß meine Bilder in den Wohnungen der Reichen hängen? Welche Art von Dingen mache ich? Wer soll sie sehen?“

Laurie Anderson hat ihre Antwort gefunden, zur Strafe hat sie nun Touristen auf der Bude. Zehn auserwählte junge Deutsche, die auf Einladung des Zigaretten- und Nahrungsmittelmultis Philip Morris nach New York gereist sind, die Zukunft und ihre Macher zu besichtigen wie Freund Otto das Empire State Building. Begleitet werden die acht Studenten und zwei Berufsanfänger, alle zwischen 21 und 28, von einem echten Werbepromi: dem Philip Morris Light American Minister for tomorrow. Der Mann heißt, ganz ehrlich, Ossi Urchs und ist die Inkarnation einer ganz unglaublich neuen, ganz unglaublich kommunikativen, ganz unglaublich gut funktionierenden Werbeidee, deren Mittelpunkt die Interaktion zwischen Werbern und ihren Opfern ist. Wer futurmäßig Fragen hat oder Geld braucht für Projekte, der rufe vertrauensvoll beim Pappkameraden Ossi an. Auf diese Weise entsteht auf die Dauer ein brauchbares Info-Netzwerk zwischen den Futurfreaks. Das gefällt, und was gefällt, schafft Image. Als Dreingabe gibt's kostenlos das Feedback von der Zielgruppe.

Die zwanzig anderen Gäste, die sich auf Frau Andersons Sofa räkeln, sind Funktionäre des Imagetransfers: ein Filmteam, Fotografen, Philip-Morris-Angestellte, Werbeagenten und Journalisten. „Nervig ist das schon, wie Schauspieler auf Schritt und Tritt gefilmt zu werden“, findet die Kommunikationswissenschaftlerin Kerstin aus Köln. Doch sie will nicht undankbar sein, schließlich ist das ein geringer Gegenwert für das große, elftägige Erlebnis New York. Schade nur, daß keiner dem Product-Manager gesagt hat, daß dies keine Stuyvesantsche Come-together-Party ist. Abgetreten hatten alle Teilnehmer vorab nur das Recht aufs Bild und Wort.

Der Weg zu dieser Entmündigungserklärung war steil und steinig. Fast zweihunderttausend potentielle Tomorrowisten wollten mit zum „Futur-Talk“, nur zehn wurden nach dreitägigem Assessment-Center (neudeutsch für: Bewerbungsgespräch) für zukunftstauglich erklärt. Auf Herz und Niere, Body and Soul hat man sie getestet, auf Sozialverhalten und Sprachkenntnis – eine Art Belastungs-EKG für positive Werbeträger eben. Erst die rigide Auslese macht das Image glaubwürdig. Denn die Message lautet: Wer hier durchkommt, gehört zur Zukunfts-Elite. Elite, Elite, schreien die Werbestrategen. Kaum hörbar ist ihr Flüstern: „Die Elite raucht Philip Morris Light American, Light American, Light American.“ Die Zigarettenindustrie übt schon die leisen Töne für die Zeit, wenn Werbung rund um den blauen Dunst verboten wird.

Tatsächlich will das Konzept „futuristische Kaffeefahrt“ mehr sein als eine Neuauflage des Pawlowschen Reflexes Cowboy = Marlboro, Loch im Schuh = Camel“. „Die Idee ist, jungen Leuten zu helfen, ihre eigenen Ideen umzusetzen“, sagt Michael „Molle“ Günster von der Werbeagentur TBWA und schaut ganz ungeheuer ehrlich. Ganz konstruktiv ist sein Konzept, im Gegensatz zu den verabscheuungswürdigen Emotionalisierungskampagnen von Benetton etwa. „Wir greifen die Orientierungslosigkeit der Zeit auf und zeigen Wege.“ Und tatsächlich: Der schönste Weg in New York führte auf die noble Präsidentenyacht „Honey Fizz“, wo einst J.F. Kennedy sein Unwesen trieb. „Nur wer vieles kennt, kann sich frei entscheiden“, sagt Molle. Frühstücksminister Urchs, die Weiterentwicklung von Omos Clementine mit anderen Mitteln, findet das auch. Zwischen langen Dreadlocks und Rauschebart schaut eine hohe Stirn hervor, eine Brille und eine Öffnung, die am liebsten sagt: „Eh Mann, echt groovie, du, cool, was?“

Nichts ist Ossi widerlicher als starre Ideologien oder politische Statements. Sie suchen nach Wahrheit? Bitte, greifen Sie zu, wir führen alles, stellen Sie sich Ihre ganz individuelle Do-it-yourself-Wahrheit zusammen. Ein Menü aus Cyberspace und Weltall-Hotel, Bronx und Brokern, Solarseglern und Systemkritikern, Harlem- Ökologen und Computer-Sklaven, wie es beliebt, jederzeit austauschbar. Ein kleiner Flug über die aktuellen Börsenkurse gefällig? Moral ist ein Brüllwitz, Integrität ein Fossil, Aufrichtigkeit zum Schieflachen, und Philip Morris ist Karl Marx. Die Zukunft ist käuflich, und so sind wir, juchhe!

So sicher sind sich die Werber ihrer Sache, daß sie sich, als Megagag, Systemkritiker einkaufen, wie einst Herrscher die Hofnarren. „Wir müssen begreifen, daß wir unser lebenserhaltendes System nicht zerstören dürfen“, redet Zukunftsforscher und UNO-Berater Ervin László vom Club of Rome den zehn Auserwählten ins Gewissen. „Wir müssen Lebensmittel anbauen anstelle von überflüssigem Tabak.“ Afrika Bambaataa, Vater des HipHop und Begründer der Zulu-Nation in der South Bronx, warnt im Philip-Morris-Penthouse vor den dunklen Mächten aus Wirtschaft und Politik, die uns alle kontrollieren. Deshalb müssen wir unablässig miteinander reden, voneinander lernen“, sagt Bambaataa. Die Werbeleute jubeln: Hat sich schon gelohnt, den Schwarzenführer herzuholen. „Each one teach one“, hat er gesagt, ein Spruch, wie sie ihn schöner nicht hätten erfinden können: unpolitisch, kommunikativ, von schlichter, ergreifender Slum-Logik, garantiert moralinfrei, und reimen tut er sich auch noch. Vier Worte wie eine Goldgrube und echt deutsch: Laßt uns eine Lebenswelt voller Lehrer kreieren und ohne Lehre.

Übertroffen wird Bambaataa nur noch von Dudley Lynch, einem Manager-Berater im Stand- up-comedian-Stil mit unverhohlener Schwäche für skurrile Kopfbedeckungen. Lynch macht in Delphinstrategien: Die Welt ist ein Teich voller Haie, Karpfen und Delphine. Haie sind Gewinner und wissen es. Karpfen sind Verlierer und wissen es. Pseudoerleuchtete Karpfen sind dumme Verlierer, die glauben, daß sie irgendwie gewinnen werden. Einzige Hoffnung: der Delphin. Der sagt: Ich kann entscheiden, ob ich gewinne oder verliere. So ist es richtig, sagt Lynch, so sollen wir sein, ein Rudel voller Delphine auf den Wellen der Trends. Damit's auch der letzte kapiert, setzt sich Lynch abwechselnd Karpfenkappen, Haihüte und Delphinmützen aufs Denkerhirn. Die Show ist urkomisch, nur Hanno, der Physiker, ist ziemlich sauer. Ein Scharlatan sei das, findet auch Jessica, die Modedesignerin, und selbst Art-Directorin Petra kann sich nicht wirklich begeistern für diese Variante amerikanischen Humors.

Da hatte man gestern doch mehr Spaß, als man im Restaurant gemeinschaftlich Eviva España schmetterte und der Schönste von allen einen Table-Strip hinlegte. Von den Referenten indes findet es keiner unpassend, für Philip Morris zu schlaumeiern. Ob der Konzern den ultrarechten US- Gouverneur Jesse Helms unterstützt oder im italienischen Zigaretten-Schwarzmarkt mitmischt, ist alles bedeutungslos. „Besser, Sie stecken Ihr Geld in ein talk with tomorrow“, findet László; und African Bambaata ist es ganz wurst, wer bezahlt, Hauptsache, er kann lehren.

Was die Redner nicht wissen, ist, daß sie Teil einer abstrakten Werbeveranstaltung sind. „Mir sagte man, daß die Firma zehn junge Zukunftsforscher unterstützt“, sagt László. Und ist sichtlich pikiert, als er von Spaßministern hört, die auf Plakatwänden deutscher Metropolen die Locken schwingen. „Und ich hab' mich schon gewundert, warum die Teilnehmer so jung sind und so auffallend fotogen.“ Doch schlaflose Nächte bereitet ihm diese Enthüllung ebensowenig wie allen anderen Rednern. Sie alle glauben, daß ihre Botschaft das wichtigste ist, nicht die persönliche Integrität. Und nehmen gegen ein beträchtliches Entgelt billigend in Kauf, daß sie einfach nur funktionieren im Disneyland der Futurologen.

Geht es nach Marvin Minsky, dem Sprachlehrer für Computer, werden seine verkabelten Lieblinge ohnehin bald die Weltherrschaft übernehmen. „Der Mensch ist nur der notwendige Evolutionsschritt“, schleudert er den Teilnehmern entgegen und setzt nach: „Sagen wir es, wie es ist – der Mensch ist der Schimpanse für den Computer.“ Ob das denn wünschenswert sei, fragt eine Teilnehmerin verschüchtert. Darauf hat Haifisch Minsky gerade gewartet. Nichts hassen er und sein Freund Nicholas Negroponte, Leiter des weltberühmten Medienlabors am MIT in Boston, mehr als naive, von Moral gelähmte Europäer. „Können Sie mir einen vernünftigen Grund nennen, warum Sie am Leben sind?“ keifte Minsky, und Negroponte seufzt: „Die Europäer sind einfach zu zögerlich. Bis die ihre moralischen Fragen geklärt haben, waren wir längst innovativ. Bei denen funktioniert einfach nichts.“

Nur auf Ossi ist Verlaß, denn Ossi schämt sich nie. Bevor er Minister wurde, war er bekennender Anarchist. Zuvor erstattete er ein wenig Bericht, u.a. für WDR und Playboy von der virtual reality, Cyberspace und Tandrasex. Die Metarmorphose vom Anarchossi zum Kippenphilip macht ihm keine Probleme. „Die wollen nur mein Image. Ich muß mich nicht verändern. Die finanzieren, woran ich ohnehin arbeite.“ Zum Zeichen seiner Unabhängigkeit zündet er sich eine Gauloises ohne an und lacht ein wenig. Seine Entdecker von der Agentur „Büro Hamurg“ lachen mit, denn sie sind seelenverwandt. Wie Ossi haben auch sie lange Zeit unter einer geistigen Verwirrung gelitten, bevor das Dagobert-Syndrom sie erlöste. Einer war moskautreu, einer Maoist, der dritte im Bunde Hausbesetzer. Aber Schwamm drüber, die Kiffer-Generation geht ihren Weg, alles vergeben und vergessen, Dialektik, mein Freund. Nur, sorry, die Sache mit dem Wahlbetrug muß gnadenlos enthüllt werden: Statt der versprochenen Neuwahlen haben sie ihren Ossi für eine weitere Legislaturperiode verpflichtet.

Da bleibt nur eins: der Putsch. Oder sagen wir's im Werbelatein: Lebenswelt Revolte. Im neuen rotschwarzen Revoluzzeroutfit von Armani, naturbelassenen Leinentransparenten und garantiert unbehandelten Holzstangen aus einheimischen Mischwäldern. Das ist cool, Mann, garantiert.