■ Waigels Sparkonzept gegen die Arbeitslosen: Beschleunigter Sturz ins soziale Netz
Was Waigels neue Sparpläne sind, sagte er ja gestern selbst: ein Signal an den Weltwirtschaftsgipfel nächste Woche in Tokio. In den vergangenen Wochen und Monaten war auch international aufgefallen, daß der Solidarpakt des Frühjahrs eben nicht das umfassende Haushaltssanierungskonzept ist, als das die Bundesregierung ihn so gerne verkauft hätte. Mit den 20 bis 22 Milliarden Mark an geplanten Kürzungen für den Bundeshaushalt 1994 schieben die Koalitionäre nun ziemlich genau jene Gemeinheiten gegenüber Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern nach, die Waigel im Frühjahr noch nicht durchsetzen konnte.
Mit dieser neuerlichen Bilanzkosmetik wird die Bundesregierung die international als häßlich wahrgenommene Staatsverschuldung ebenfalls nicht lange schminken können. Denn der größte Sparposten, die Kürzung von 14 Milliarden Mark bei den Arbeitslosen, wird zum großen Teil künftig von den Kommunen aufzubringen sein. Mehr Menschen werden dann bei Verlust des Arbeitsplatzes schneller auf Sozialhilfeniveau abstürzen.
Angesichts weiterer Arbeitsplatzvernichtung werden die Gemeinden mehr Geld für Sozialhilfe aufbringen müssen, als sie durch die Kürzung derselben um drei Prozent einsparen können.
Der Koalition fällt zum Sparen bekanntermaßen nichts anderes ein, als planlos Löcher ins soziale Netz zu schneiden, aber die Opposition ignoriert, daß eben dieses Netz, bliebe es unverändert, relativ bald zu reißen droht. Ein bißchen Solidarbeitrag der Besserverdienenden – so richtig die Forderung aus Gerechtigkeitsgründen ist – wird ebensowenig nutzen wie das Aufspüren sämtlicher Sozialbetrüger, wenn Mitte der 90er Jahre fünf bis sechs Millionen Menschen hierzulande auf lange Sicht arbeitslos und damit auf Unterstützung angewiesen sein werden.
Ins Leere zielen ebenfalls Unternehmer-Vorstöße wie der von BDI-Präsident Tyll Necker, der die Sozialhilfe deshalb gekürzt sehen möchte, damit der Abstand zu den unteren Lohngruppen größer wird. Dahinter steht der Gedanke, „wer Arbeit will, findet auch welche“ – noch ein Köhlerglaube angesichts der Tatsachen des Arbeitsmarktes. Schon heute ist klar, daß der nächste Aufschwung zwar irgendwann kommen, aber die Arbeitslosenzahlen kaum senken wird – eine Entwicklung, die uns übrigens nicht die Ossis eingebrockt haben, sondern die ähnlich auch in den anderen EG-Ländern stattfindet. Die Abkopplung der Arbeitsmarktentwicklung vom Wirtschaftswachstum haben die EG-Regierungen beim Kopenhagener Gipfel mit sichtlichem Erschrecken erstmals wahrgenommen. Die Erkenntnis jedoch, daß bei einer neuen Krankheit die alte Therapie nicht weiterhilft, hat sich bis Waigel noch nicht rumgesprochen. Donata Riedel
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