Perestroika mit Grenzen

In Kuba hat der Übergang zum Kapitalismus längst eingesetzt / Für Pesos gibt es fast nichts mehr / Schockprogramm will niemand  ■ Aus Havanna Ralf Leonhard

Che Guevara suchte für alle Probleme eine sozialistische Lösung: „Denn ohne daß wir es merken, fängt der Kapitalismus an, uns zu zerfressen und zu vergiften.“ Kubas sozialistische Welt war noch in Ordnung, als Fidel Castro vor elf Jahren vor dem IV.Kongreß der Kommunistischen Jugend die unbestechliche sozialistische Moral des ehemaligen Planungsministers und legendären Guerillahelden Che Guevara pries. Heute nagt der Kapitalismus längst an der kubanischen Wirtschaft und an den Grundfesten der Gesellschaft.

„Noch vor drei Jahren dachte man, daß in Kuba eine Art alternativer Kommunismus praktiziert werden könne“, erzählt der Wirtschaftsforscher Pedro Monreal. „Aber der Zug ist inzwischen abgefahren.“ Der Übergang zum vorherrschenden Wirtschaftssystem der Erde ist nicht mehr zu stoppen. Die Frage ist nur noch, ob dieser Übergang von oben gesteuert werden kann – und wie die Regierenden der Bevölkerung den Schwenk plausibel machen will.

Der dynamische Sektor der kubanischen Wirtschaft funktioniert längst nach kapitalistischen Prinzipien. Nicht nur die über 80 Joint- ventures mit ausländischem Kapital, auch 200 rein kubanische Betriebe müssen bereits devisenautark arbeiten. Darunter sind so zentrale Unternehmen wie das Stahlwerk Antillana, biotechnologische Laboratorien und die größten Handelsfirmen des Landes: Cubazucar, Cubaniquel und Cubacitricos. Immer mehr ehemalige Beamte mit Organisationstalent schulen auf Management um. Die besten Köpfe und die effizientesten Arbeitskräfte wandern in diesen Sektor ab, während der traditionelle sozialistische Sektor für den Großteil der Binnenversorgung und für die Erhaltung der Vollbeschäftigung verantwortlich bleibt. Dementsprechend dürftig ist auch die Versorgung selbst mit dem Notwendigsten.

Bereits Mitte der achtziger Jahre war Kritik daran laut geworden, daß Kuba das altsowjetische Modell einfach kopierte. Doch die Suche nach dem eigenen Weg zum Sozialismus wurde von den Ereignissen überrollt. Die von Gorbatschows Perestroika ausgelöste Krise im Comecon und schließlich das abrupte Ende der Sowjetunion trafen die in die Arbeitsteilung des RGW integrierte Wirtschaft der Zuckerinsel völlig unvorbereitet. Damals wickelte Kuba 85 Prozent seines Handels mit der heutigen GUS ab. Das Bruttonationalprodukt sackte praktisch über Nacht um 40 Prozent ab, die Hälfte der Industrie mußte wegen Treibstoffmangels stillgelegt werden. An einen geordneten Übergang war nicht mehr zu denken. Die von Fidel Castro mit der Parole „Sozialismus oder Tod“ propagierte Trotzhaltung ist nicht mehr als ein Rückzugsgefecht. Denn der 66jährige Revolutionsführer ist viel zu intelligent, um die Zeichen der Zeit mißzuverstehen.

Doch ein neoliberales Schockprogramm, wie es überall auf dem Kontinent mit katastrophalen Folgen für die Bevölkerung vorexerziert wurde, würde für die kubanische Führung die Bankrotterklärung bedeuten. Sind doch das vorbildliche Gesundheitssystem, das pro 250 Einwohner einen Arzt bietet, der für alle garantierte Zugang selbst zur höheren Bildung und ein Minimum an sozialer Gerechtigkeit Errungenschaften, die in Kuba niemand in Frage stellt. Deswegen ist auch an eine Konvertibilität des kubanischen Peso und die baldige Vereinigung der Dollar- und der Peso-Wirtschaft nicht zu denken.

Für Pesos, die zunehmend zu einer Art Monopoly-Spielgeld werden, bekommt man allerdings außer den rationierten Grundbedarfsartikeln nichts mehr zu kaufen. Doch solange weder der Staat noch der Markt eine ausreichende Versorgung sicherstellen können, sieht keiner praktikable Alternativen zur Mangelverwaltung.

Optimistische Wirtschaftsexperten rechnen damit, daß Ende dieses Jahres oder Anfang 1994 das Ende der Talsohle erreicht wird und dann ein bescheidener Aufschwung einsetzt. Sie stützen sich dabei auf die Prognosen einer Zuckerernte, deren Erträge über dem Tiefstand dieses Jahres liegen werden, und auf die ersten Renditen aus verschiedenen Investitionsvorhaben. Vor wenigen Wochen wurde ein Handelsvertrag mit Rußland unterzeichnet, der den Austausch von Zucker gegen Erdöl zwar auf weit tieferem Niveau als vor 1990 festschreibt, doch den Auftakt zu einer Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen mit den ehemaligen Handelspartnern bildet.

Gleichzeitig drängt immer mehr westliches Kapital auf den Markt, um die günstigen Investitionsbedingungen zu nützen. „Castrol Niederlande“ hat gerade die Produktion von Ölen und Schmiermitteln aufgenommen, „Sony“ ist längst im Land, und an der Erdölsuche beteiligen sich lateinamerikanische und europäische Unternehmen. Bisher kann Kuba kaum 10 Prozent seines Energiebedarfs aus eigener Erdölproduktion decken. Aber es gibt Anzeichen, daß sich unter dem Festlandsockel größere Mengen des schwarzen Goldes befinden.

Gleichzeitig wird der Ausbau von Alternativenergiequellen forciert. Noch decken zwar Kleinkraftwerke, Bio-, Wind- und Sonnenenergieanlagen keine fünf Prozent des nationalen Energiebedarfs. Doch setzt sich der Gedanke der dezentralen Energieversogung immer mehr durch – nicht zuletzt aus militärstrategischen Gründen, die auch der Förderung der Berggebiete zugrunde liegen. Denn wenn eines Tages wirklich die USA einmarschieren, dann soll der Widerstand auf dem Land organisiert werden.

Die kubanische Armee, die derzeit nicht mit einer Invasion rechnen muß, kann sich dem neuen Trend auch nicht entziehen. Auch sie muß sich selbst erhalten. Deswegen versucht sie nicht nur die Verpflegung auf eigenen Äckern anzubauen, sondern sorgt mit einigen Manufakturen ziviler Produktion für zusätzliches Einkommen. Selbst das Sportministerium wurde vom nationalen Budget gestrichen und muß sehen, wie es sich durch den Verleih von Trainern und Sportärzten in ein rentables Unternehmen verwandeln kann.

Aber der Privatinitiative sind noch immer enge Grenzen gesteckt. Zwar wurde das alte Handelsrecht, das die Gründung von Handelsgesellschaften regelt, nie aufgehoben. Doch gibt es in der Praxis der Mangelwirtschaft buchstäblich nichts, womit ein Kubaner legal handeln könnte.