: Weniger Leistung soll sich lohnen
Die Spitzenverdiener in Bonn waren mit dem Ergebnis zufrieden: An ihrer Kürzungsorgie werden vorzugsweise die sozial Schwachen teilnehmen. Steuererhöhungen kommen nicht in Frage – sie gelten den Liberalen als „Gift für die Konjunktur“.
Massives Aufgebot: Theo Waigel, Norbert Blüm und Günter Rexrodt machten sich gestern nachmittag zur gemeinschaftlichen Überzeugungsarbeit vor den Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf, um die Ergebnisse der letzten Koalitionsrunde zu vertreten. In der Nacht zum Dienstag war das 21-Milliarden-Sparpaket für den Haushalt 1994 nach über vierstündiger Beratung ausgehandelt worden.
Wirtschaftsminister Rexrodt (FDP), Arbeitsminister Blüm (CDU) und Finanzminister Waigel (CSU) zeigten danach demonstrativ kollektive Zufriedenheit. Denn mit Protesten muß gerechnet werden: Das Sparkonzept sieht erhebliche soziale Einschnitte vor, die bei den Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern zum Föderalen Konsolidierungskonzept im März ausdrücklich ausgeschlossen worden waren.
Mit der Vorlage der Steuerschätzungen im Mai war endgültig klargeworden, daß in den Haushalten der nächsten Jahre drastische Einsparungen nötig werden. Rezession und Arbeitsmarktentwicklung lassen weniger Geld in die öffentlichen Kassen fließen als erhofft. Eine Lücke von 20 Milliarden Mark klafft im Haushalt 1994, bis 1996 wird das Einsparvolumen auf (mindestens) 30 Milliarden ansteigen. Mit Neuverschuldung sind diese Löcher nicht mehr zu stopfen, denn die ist ohnehin schon in schwindelerregenden Höhen angelangt: 70 Milliarden Mark Neuverschuldung veranschlagt Waigel für den Haushalt 1994, nach aller Erfahrung ist das dann eher eine Untergrenze. Einnahmeverbesserungen, sprich Steuererhöhungen gelten der Regierung als Tabu. Als „Gift für die Konjunktur“ weist die FDP jeden Gedanken daran zurück. Vor dem Vorwurf einer weiteren Steuerlüge schreckt der Bundeskanzler zurück: Erst 1995, so wurde im März festgelegt, soll der Solidarzuschlag wieder erhoben werden.
Der dickste Brocken, 14 Milliarden Mark, entfällt auf Einsparungen im Bereich Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarkt. Bestimmte Sozialleistungen müßten „an die volkswirtschaftlichen Umstände“ angepaßt werden, meinte Waigel. Arbeitslosenhilfe, Kurzarbeitergeld und Sozialhilfe sollen um drei Prozent gekürzt werden.
Die Arbeitslosenhilfe wird zudem auf zwei Jahre befristet, beim Arbeitslosengeld sind gestaffelte Kürzungen vorgesehen. Es bleibt zwar bei der Höchstdauer von maximal drei Jahren. Doch nur im ersten Quartal der Arbeitslosigkeit wird die bisherige Höhe von 63 beziehungsweise 68 (für Arbeitslose mit Kindern) Prozent des bisherigen Nettoeinkommens gezahlt. Im zweiten Quartal sinken die Bezüge auf 67/62 Prozent, im dritten auf 66/61, im vierten auf 65/60 und in der restlichen Zeit um insgesamt vier Prozent auf 64/59 Prozent.
Das Schlechtwettergeld für Bauarbeiter wird im ersten Halbjahr 1994 um drei Prozent gekürzt und dann gestrichen. 1,3 Milliarden sollen bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gespart werden. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bleibt bei 6,5 Prozent. Ohne diesen Beschluß wäre eine Absenkung auf 6,3 automatisch erfolgt. – Eine Nullrunde soll es 1994 bei den Beamtengehältern geben, allerdings soll ein sozialer Ausgleich bei den untersten Einkommensgruppen geprüft werden. Stillstand bei der Ausbildungsförderung für Schüler und Studenten: Bafög wird für 1994 und 95 eingefroren. Das Kindergeld wird stärker einkommensabhängig: Bei Bruttojahreseinkommen ab 120.000 (Ledige) und 150.000 (Verheiratete) gibt es ab dem zweiten Kind künftige nur noch 70 DM. Unter den 50 Einzelpunkten finden sich auch einige weniger gewichtige Vorschläge zum Subventionsabbau. Subventionskürzungen in Höhe von 15 Milliarden Mark hatte die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier vor knapp zwei Wochen vorgeschlagen.
Als „differenziertes Angebot“ bezeichnete Blüm das Maßnahmenpaket. Die Arbeitsmarktpolitik werde auf „hohem Niveau“ fortgeführt. Der Bundesarbeitsminister unterstützt die Kürzungen in seinem Amtsbereich: „Freilich müssen auch hier die Kosten in Schach und Proportionen gehalten werden.“ Es komme darauf an, „möglichst viele Menschen in Fortbildung, Umschulung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu bringen“. Gerade die Sozialpolitik müsse ein Interesse daran haben, daß Preissteigerungen in Schach gehalten werden.
Immerhin: „Wir haben unsere Zusage gehalten. An der Rente passiert nichst, gar nichts.“ Sein Kollege von den Liberalen hatte weniger Schwierigkeiten. Rexrodt: „Insgesamt ein rundes Papier“. Otto Graf Lambsdorff, nunmehr wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, äußerte sich in der ARD in gewohnter Klarheit: „In erster Linie müsse „bei denen gespart werden, die öffentliche Mittel und öffentliches Geld bekommen.“
Deshalb seien die Nullrunde bei den Beamten und die Kürzungen von Sozialleistungen notwendig. Die Weichen seien nun „konsequent auf Stabilität gestellt“, sagte der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos. Er hoffe, daß das Sparpaket die Bundesbank veranlasse, weitere Zinssignale zu setzen. Tissy Bruns, Bonn
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